Die Europäische Kommission erwägt angesichts schwerwiegender Vorwürfe gegen mehrere Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) eine Überprüfung ihrer Hilfen. Die "äußerst schwerwiegenden Anschuldigungen" müssten "unverzüglich" untersucht werden, sagte Kommissionssprecher Eric Mamer in Brüssel. Aktuell stünden keine Zahlungen an das UNRWA an, betonte Mamer. Die EU ist einer der größten Geldgeber des UN-Hilfswerks.
Im vergangenen Jahr hatte das Hilfswerk nach eigenen Angaben 82 Millionen Euro von der Europäischen Union erhalten. Die Gesamthilfen der EU an Palästinenser belaufen sich auf 1,2 Milliarden Euro für den Zeitraum 2021 bis 2024.
"New York Times" nennt Details
Zwölf Mitarbeiter des UNRWA stehen im Verdacht, in den beispiellosen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober verwickelt gewesen zu sein. Die "New York Times" hatte zuletzt über bislang unbekannte Details zur mutmaßlichen Verwicklung berichtet.
Ein UNRWA-Mitarbeiter soll demnach an der Entführung einer Frau aus Israel beteiligt gewesen sein. Ein anderer habe Munition ausgeteilt, ein dritter sei an einem Massaker in einem Kibbuz beteiligt gewesen, bei dem 97 Menschen starben, berichtete die Zeitung am Sonntag (Ortszeit) unter Verweis auf ein entsprechendes israelisches Dossier, das der US-Regierung vorliege. Eine Bestätigung der Vorwürfe durch die US-Regierung gebe es derzeit nicht, schrieb die "New York Times". Washington stufe sie aber als glaubwürdig ein.
Die EU-Kommission forderte in einer Erklärung vom Montag eine Überprüfung der Anschuldigungen durch eine unabhängige Expertenkommission, zusätzlich zu einer bereits eingeleiteten internen Untersuchung der Vereinten Nationen. "Diese Maßnahmen sind dringend", sagte Mamer in Brüssel.
Deutschland und andere Länder setzen Zahlungen an UNRWA aus
Die humanitären Hilfen der EU für die Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland über andere Hilfsorganisationen würden "unvermindert fortgesetzt", erklärte Kommissionssprecher Mamer. An das UN-Hilfswerk seien "bis Februar 2024" keine Zahlungen vorgesehen.
Die Bundesregierung hatte bereits angekündigt, bis zum Ende der Aufklärung der Vorwürfe keine neuen Mittel für das UNRWA im Gazastreifen zu bewilligen. Das Auswärtige Amt und das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) betonten jedoch, dass derzeit ohnehin keine neuen Zusagen für das UN-Hilfswerk anstünden. Vor wenigen Tagen habe man die Mittel für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und das UN-Kinderhilfswerk Unicef um sieben Millionen Euro aufgestockt. Länder wie die USA, Großbritannien und Italien kündigten an, ihre Hilfszahlungen auszusetzen. Gleiches gilt für Österreich.
UNRWA-Leiter Philippe Lazzarini appellierte am Wochenende an die Länder, ihren Standpunkt zu überdenken, da andernfalls die gesamte humanitäre Arbeit in der Region gefährdet sei. "Diese Entscheidungen bedrohen unsere laufende humanitäre Arbeit in der gesamten Region, einschließlich und insbesondere im Gazastreifen", so Lazzarini. Es sei "schockierend, dass die Mittel für das Hilfswerk als Reaktion auf die Anschuldigungen gegen eine kleine Gruppe von Mitarbeitern ausgesetzt wurden".
Bundesregierung verlangt rasche Aufklärung
Am Montag hieß es von deutscher Seite, dass man eine rasche Aufklärung erwarte. Es sei jetzt an UNRWA, "sehr schnell und rasch die notwendigen Schritte zur Aufklärung zu unternehmen, um diese Situation zu bereinigen", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Er nannte es "erschreckend", dass sich einige UNRWA-Mitarbeiter an dem Massaker beteiligt hätten.
Im vergangenen Haushaltsjahr flossen den Angaben des Sprechers zufolge insgesamt 206,5 Millionen Euro von der Bundesrepublik an UNRWA, davon 130,5 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt. Von den Geldern seien 83 Millionen Euro in Gaza umgesetzt worden.
UN-Generalsekretär bestätigt Entlassungen
UN-Generalsekretär António Guterres zufolge wurde neun der beschuldigten Mitarbeiter inzwischen entlassen. Einer von ihnen sei tot und die Identität der beiden anderen werde noch geklärt.
Die terroristische Hamas hatte bei ihrem Großangriff am 7. Oktober auf Israel nach israelischen Angaben etwa 1.140 Menschen getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor, erklärtes Ziel ist die Zerstörung der Hamas. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, wurden im Gazastreifen bislang mehr als 26.400 Menschen getötet.
FDP: UNRWA auflösen
Die FDP fordert indes die Auflösung des Hilfswerks. "Die üblen aktuellen Vorfälle bei der UNRWA haben gezeigt, dass interne Reformen nicht ausreichen und das systemische Problem des Hilfswerks nicht lösen können", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem "Tagesspiegel". Er verwies auf einen Parteitagsbeschluss vom Wochenende, wonach "sich die Vereinten Nationen in der Region neu aufstellen müssen".
Ähnlich formulierte es auch Hessens Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker: "Die UNRWA ist kein Hilfswerk für die Palästinenser, sondern ein Hilfswerk für den palästinensischen Terror."
Keine andere Organisation der Vereinten Nationen stehe dem friedlichen Miteinander von Israelis und Palästinensern "so im Weg wie dieses Werk, das den Hass auf Israel von einer Generation an Palästinenser-Kindern an die nächste weitervermittelt, und personell mit der Hamas verflochten ist", sagte Becker. Er halte die "israelfeindlichen Strukturen der UNRWA" nicht für reformierbar.
Die Vereinten Nationen hatten die UNRWA 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Mittlerweile haben nach Angaben der Organisation rund 5,9 Millionen Menschen Anspruch auf ihre Dienste. Dazu zählen Palästinenser, die 1948 flüchteten oder vertrieben wurden, sowie ihre Nachkommen. Die UNRWA ist unter anderem in Jordanien, im Libanon und in den Palästinensergebieten tätig.
Mit Informationen von AFP, KNA und dpa
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