In Deutschland dürfte sie fast jeder kennen - und das, obwohl sie nur rund 200.000 Mitglieder haben. Die Rede ist von den Zeugen Jehovas. Durch ihre Missionierungsversuche an der Haustüre und ihre Präsenz an Bahnhöfen und in Fußgängerzonen hatte ein Großteil der Menschen in der Bundesrepublik schon einmal Kontakt mit ihnen.
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Keine Sekte, keine Kirche, sondern "christliche Sondergemeinschaft"
Früher habe man die Zeugen Jehovas gerne als klassische Sekte bezeichnet, heute spreche man von einer "christlichen Sondergemeinschaft", sagt Matthias Pöhlmann im BR24-Interview. Der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern beobachtet die Organisation seit Langem.
Sie sei aus dem Christentum hervorgegangen, schotte sich aber gleichzeitig von ihm ab, weil sich die Zeugen Jehovas im Vergleich zur katholischen und evangelischen Kirche für die wahren Christen hielten. Andere kirchliche Traditionen werden daher abgelehnt - es wird zum Beispiel weder Ostern noch Weihnachten gefeiert.
Zeugen Jehovas in Deutschland Körperschaft des öffentlichen Rechts
Die 1881 vom ehemaligen Adventisten-Prediger Charles Taze Russell in den USA gegründete Gruppierung zählt nach eigenen Angaben weltweit über acht Millionen Mitglieder. Die deutsche Zentrale ist in Selters im Taunus, die internationale Zentrale in New York. Der Name "Zeugen Jehovas" geht auf eine missverstandene Lesart des hebräischen Gottesnamens JHWH im Alten Testament zurück.
Das Verhältnis der Zeugen Jehovas zum Staat sei ambivalent, erklärt Pöhlmann. Von sich selbst sagen Zeugen: "Wir sind kein Teil dieser Welt." Der Staat sei von Jehova nicht gewollt. Gleichzeitig sind sie seit 2006 in Deutschland eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. An Wahlen beteiligen sich die Gläubigen jedoch nicht.
Die Zeugen Jehovas gehörten zu den allerersten Opfern der Nazi-Herrschaft. Sie standen dem NS-Regime von Anfang an ablehnend gegenüber. Vor allem wegen ihrer Verweigerung des Kriegsdienstes und des Hitlergrußes wurden sie verfolgt. 1933, zu Beginn der Herrschaft Hitlers, gab es in Deutschland ungefähr 25.000 bis 30.000 Zeugen Jehovas. In den folgenden zwölf Jahren bis 1945 wurden 11.300 deutsche und ausländische Zeugen Jehovas inhaftiert. An die 1.500 starben in Konzentrationslagern.
Weltanschauungsexperte: "Propheten der Angst"
Die Lehre der Zeugen Jehovas beruht auf einer wörtlichen Auslegung biblischer Texte. Im Mittelpunkt steht die Erwartung des Weltuntergangs, der endzeitlichen Vernichtungsschlacht "Harmagedon", bei der Gott alles "Böse" ausrotten und nur die Zeugen Jehovas verschonen werde.
Pöhlmann bezeichnet sie deshalb als "Propheten der Angst". Bei vielen Mitgliedern würden die Drohbotschaften große Ängste auslösen, "dass ihre Liebsten vernichtet werden, die nicht bei den Zeugen Jehovas sind".
Nach Aussage von Matthias Pöhlmann erwarten die Zeugen Jehovas unbedingten Gehorsam. "Kritische Rückfragen oder Zweifel sind nicht zugelassen", sagt er. Die Religionsgemeinschaft ist streng hierarchisch strukturiert. An der Spitze steht eine "leitende Körperschaft", die aktuell aus acht Männern besteht. Sie versteht sich als "Offenbarungs- und Verbindungskanal Jehovas", schreibt die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in ihrem Onlinelexikon. Den Anweisungen und Bibelinterpretationen der leitenden Körperschaft sei genau zu folgen.
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