US-Präsident Joe Biden sieht nicht weniger als die Demokratie auf dem Stimmzettel, sein Vorgänger Donald Trump warnt vor der "Zerstörung unseres Landes": Die Ausgangslage vor den sogenannten Midterms in den USA hat es in sich. Von den Ergebnissen hängt ab, unter welchen Umständen der demokratische Amtsinhaber Biden die kommenden beiden Jahre regieren kann – während am Horizont bereits die Präsidentschaftswahl 2024 aufzieht.
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Aber was genau wird bei den Midterms am Dienstag eigentlich gewählt? Welche Szenarien für den Ausgang gibt es? Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie hier.
Worüber wird bei den Midterm-Wahlen abgestimmt?
Das Parlament der USA heißt Kongress und besteht aus zwei Kammern: Repräsentantenhaus und Senat. In beiden Kammern haben die Demokraten aktuell eine Mehrheit, im Senat allerdings denkbar knapp. Bei den jetzt anstehenden Midterm-Wahlen wird das gesamte Repräsentantenhaus mit 435 Abgeordneten neu gewählt. Umfragen sahen hier die Republikaner zwischenzeitlich deutlich vorne, wenngleich die Demokraten aufholen konnten.
Gewählt werden bei der landesweiten Abstimmung am Dienstag auch ein Drittel des Senats und zahlreiche Gouverneure (vergleichbar mit Ministerpräsidenten). Deshalb wird die Abstimmung auch darüber entscheiden, welche Mehrheitsverhältnisse künftig im Senat mit seinen 100 Mitgliedern herrschen. Jeder US-Bundesstaat stellt zwei Senatoren – unabhängig von Größe oder Einwohnerzahl.
Wann wird in den USA gewählt – und wann gibt's Ergebnisse?
Am Dienstagmorgen deutscher Zeit öffneten die ersten Wahllokale in den USA, mit Ergebnissen wird in der Nacht zu Mittwoch gerechnet. Allerdings könnte das Ergebnis für das Repräsentantenhaus so knapp ausfallen, dass die Auszählung länger dauert. Klagen gegen Wahlergebnisse in einzelnen Wahlkreisen sowie automatische oder von Kandidaten verlangte Neuauszählungen können ebenfalls für Verzögerungen sorgen. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 dauerte es vier Tage, bis die US-Sender den Demokraten Joe Biden zum Sieger ausriefen – während manche Republikaner bis heute von Wahlfälschung sprechen, obwohl dieser Vorwurf von diversen Seiten widerlegt wurde.
Besonders viel Zeit könnte bei den Midterms vergehen, bis die künftige Mehrheit im Senat feststeht. Das liegt daran, dass dort wie bislang sehr knappe Mehrheitsverhältnisse erwartet werden. Außerdem gibt es in mehreren Bundesstaaten keinen klaren Favoriten bei der Senatswahl.
Dazu kommt die Sonderrolle des Bundesstaats Georgia: Hier muss ein Senatskandidat im ersten Wahlgang auf mehr als 50 Prozent der Stimmen kommen. Andernfalls gibt es am 6. Dezember eine Stichwahl – worauf es laut Umfragen hinausläuft. Sollte die künftige Senatsmehrheit an Georgia hängen, wird erst in einem Monat klar sein, ob Demokraten oder Republikaner in dieser Kammer des Kongresses das Sagen haben.
Warum sind die Ergebnisse für die aktuelle Politik wichtig?
Die Midterms markieren immer die Halbzeit einer Präsidentschaft – und meistens erschweren sie die zweite Hälfte des Amtsinhabers. "Die Partei, die das Weiße Haus hält, verliert in den allermeisten Fällen bei den Midterms", erläuterte Shana Kushner Gadarian, Professorin für Politikwissenschaft an der Syracuse University, jüngst im Gespräch mit BR24. Das ging zuletzt Donald Trump und Barack Obama so – und etlichen US-Präsidenten davor.
Und obwohl der US-Präsident eine starke Stellung hat: Ohne Mehrheit in einer oder gar beiden Kongresskammern würde es auch für den aktuellen Amtsinhaber Biden schwer, seine Politik durchzusetzen.
Im Wahlkampfendspurt am Wochenende hängte der Demokrat die Abstimmung maximal hoch ein, auch wegen der feindseligen politischen Stimmung spätestens seit der von Trump angestachelten Kapitol-Erstürmung Anfang 2021. Die Demokratie stehe "buchstäblich auf dem Stimmzettel", sagte Biden am Samstag in Philadelphia. Es sei ein "entscheidender Moment für die Nation", die Wähler stünden "vor der Wahl zwischen zwei sehr unterschiedlichen Visionen von Amerika". Er und die demokratischen Kandidaten bezeichneten die Republikaner im Wahlkampf als Partei der Reichen – und betonten ihre eigene Unterstützung für Gewerkschaften und für einen verstärkten Schutz des Rechts auf Abtreibung. Dieses landesweite Recht hatte der Supreme Court im Sommer gekippt.
Was waren wichtige Wahlkampf-Themen in den USA?
Neben der Debatte um das Thema Abtreibung spielten vor allem die Inflation und damit verbunden die Wirtschaftslage eine zentrale Rolle. Im Zuge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs sind die Verbraucherpreise auch in den USA massiv angestiegen, zuletzt betrug die Inflationsrate 8,2 Prozent. Weitere wichtige Themen: Einwanderung, Waffenbesitz, Kriminalität.
Midterms: Warum sind Staaten wie Pennsylvania so wichtig?
Pennsylvania ist einer der sogenannten Swing States. Gemeint sind Bundesstaaten, die über das allgemeine Kräfteverhältnis zwischen Demokraten und Republikanern entscheiden könnten. Besonders wichtig sind sie dieses Mal für den künftigen Senat, weil die Mehrheitsverhältnisse dort extrem knapp bleiben dürften. In Pennsylvania treten der Demokrat John Fetterman und der Republikaner Mehmet Oz gegeneinander um den wichtigen Senatssitz an. Als Swing States gelten auch die Bundesstaaten Georgia und Nevada.
Welche Rolle spielt die US-Präsidentschaftswahl 2024?
Eine wichtige. Denn bei den Midterms werden nicht nur die Weichen für die verbliebenen zwei Amtsjahre von Biden gestellt. Sondern vom Ergebnis hängt auch ab, aus welcher Position heraus der Demokrat eine weitere Kandidatur antreten würde. Bisher hat Biden, der bei der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren fast 82 wäre, eine erneute Kandidatur nicht offiziell angekündigt.
Auch bei den Republikanern ist bisher nicht klar, wer gegen Biden antreten möchte. Ex-Präsident Trump, gegen den aktuell diverse Verfahren unter anderem wegen der Kapitol-Erstürmung laufen, gab am Wochenende aber erneut ziemlich klare Hinweise. In einer "sehr, sehr, sehr kurzen Zeit" würden seine Fans "so glücklich" sein, sagte Trump.
Der 76-Jährige dürfte im Falle republikanischer Wahlerfolge bei den Midterms ein gutes Zeitfenster für sich sehen. Allerdings muss er mit internen Gegnern rechnen, die sich ebenfalls gute Chancen ausrechnen – wie Ron DeSantis, derzeit Gouverneur in Florida. Ihn attackierte Trump zuletzt mehrfach. Der Gouverneur von Florida steht am Dienstag ebenfalls zur Wahl.
Was macht Donald Trump ansonsten?
Jenseits von Andeutungen einer erneuten Präsidentschaftskandidatur (siehe oben) zeichnete Trump im Wahlkampf wie gehabt ein maximal düsteres Bild der USA unter Biden. Das Land werde von Kommunisten regiert, die Wähler müssten "die Zerstörung unseres Landes" aufhalten, sagte Trump am Wochenende. Im Wahlkampf der Republikaner spielte Trump eine wichtige Rolle – und nicht nur dort: Im Vorfeld hatte er vielen ihm treuen Hardlinern zu einer Kandidatur verholfen.
Das beschert den Republikanern zahlreiche Kandidaten mit zweifelhaften politischen Fähigkeiten. Beispiel Georgia: Hier ist der Senatskandidat Herschel Walker, ein früherer American-Football-Star, aufgefallen durch Vorwürfe der häuslichen Gewalt, falsche Angaben zu seinem Lebenslauf und rhetorische Schwächen. In den vergangenen Wochen geriet der als erzkonservative Abtreibungsgegner auftretende Politik-Neuling zudem durch die Angaben gleich zweier Frauen in Bedrängnis, er habe sie in der Vergangenheit zu Abtreibungen gedrängt – und für die Schwangerschaftsabbrüche gezahlt.
Ob ein schlechtes Abschneiden der Republikaner auf Trump zurückfallen würde, ist allerdings fraglich. "Trotz seiner Niederlage beim Versuch einer Wiederwahl, zweier Impeachments, fast einem Dutzend ernsthafter Strafermittlungen und zahlloser Skandale, die schon seit langem fast jeden anderen Politiker versenkt hätten, bleibt Trump der klare Anführer der Republikanischen Partei", sagt der Politikwissenschaftler Nicholas Creel. Die Unterstützung für Trump bei den Republikanern sei "viel zu unverwüstlich, um durch ein schlechtes Abschneiden der Partei im November beschädigt zu werden."
Und was macht Barack Obama?
Ex-Präsident Obama schaltete sich am Schluss in den Wahlkampf der Demokraten ein. Er forderte die Anhänger seiner Partei auf, unbedingt wählen zu gehen. "Vielleicht denken Sie, dass der Kongress nicht so wichtig ist. Vielleicht glauben Sie nicht, dass Ihre Stimme von Bedeutung sein wird". Doch - ähnlich wie Biden - betonte Obama es würden Grundrechte, Vernunft und Anstand "auf dem Stimmzettel" stehen. Er bezeichnete die Republikaner als zunehmend abgeneigt gegenüber allem – von der Wissenschaft bis zur Einhaltung von Regeln.
Welche Szenarien gibt es für den Ausgang der Midterms?
- Ein geteilter Kongress – zum Beispiel wenn die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erreichen und die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigen. Im Repräsentantenhaus würde es dann unangenehm für Biden: Größere Gesetzesvorhaben könnte er dann wohl nicht mehr durch den Kongress bringen. Die Republikaner haben im Falle einer eigenen Mehrheit auch bereits mit diversen Untersuchungen gegen Demokraten gedroht. Und sogar mit Amtsenthebungsverfahren gegen Mitglieder des Biden-Kabinetts.
- Eine Mehrheit für die Republikaner in beiden Kammern – was für Biden problematisch wäre. Experten rechnen in diesem Fall mit Blockade und Reformunfähigkeit, allerdings könnte der US-Präsident weiter mit Dekreten und Anweisungen regieren. Nur: Wenn die Demokraten ihre Mehrheit auch im Senat verlieren sollten, bekäme der US-Präsident dort keine Nominierungen mehr durch. Hintergrund: Wichtige Personalien auf Bundesebene wie Botschafter, Kabinettsmitglieder oder Bundesrichter müssen vom Senat bestätigt werden. Besonders wichtig sind die Richterposten, unter anderem am höchsten US-Gericht, dem Supreme Court.
- Eine Mehrheit für die Demokraten in beiden Kammern – was laut den Umfragen sehr unwahrscheinlich ist. Käme es trotzdem dazu, wäre es ein riesiger Erfolg für Biden. Interessant wäre dann, wie viele Senatoren die Demokraten genau stellen. Denn bisher machen zwei von ihnen dem US-Präsidenten das Leben besonders schwer: Wegen dieser innerparteilichen Kritiker konnte er etwa sein Klima- und Sozialprogramm nur teilweise durchsetzen.
Mit Informationen von AP, AFP und dpa
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