Am 14. April 2021 hat die pro-Al-Qaida Gruppierung "Jaysh Al-Malahim Al-Electronic" in ihrem Online Magazin "Wolves of Manhattan", auf deutsch: Wölfe von Manhattan, junge Muslime in westlichen Ländern aufgefordert, Anschläge zu verüben.
Am 09. Juli 2021 wird die Aufforderung wiederholt – in einem Statement der Gruppierung, veröffentlicht im Messengerdienst Telegram. Anlass ist ganz offensichtlich die Messerattacke von Würzburg - die Tat des 24-jährigen Somaliers, der am 25. Juni elf Menschen verletzt und drei Frauen getötet haben soll. Diese Attacke wird von den Jihad-Propagandisten von "Wolves of Manhattan" hochgelobt. Für sie ist der mutmaßliche Messerstecher ein Held.
- Zum Artikel "Messerangriff in Würzburg – Was wir bisher wissen"
Für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist derartige Propaganda keine Überraschung. Neu daran sei, "dass durch den Anschlagsort Würzburg ein Deutschlandbezug" gegeben sei. "Ohnehin gehörte und gehört Deutschland zum potentiellen Zielspektrum jihadistischer Organisationen und ihrer Anhänger", so ein Sprecher des BfV auf Anfrage von report München. Für das BfV ist die sog. "Al Malahim Electronic Army" eine der Al-Qaida-Ideologie nahestehende Medienstelle, die sich zum Ziel gesetzt hat, den medialen Jihad zu betreiben und zum Jihad gegen "Ungläubige" anzuspornen.
Das Online-Magazin "Wolves of Manhatten" wird seit November 2020 in arabischer, englischer und französischer Sprache herausgegeben. Es zeichne sich durch sein deutlich antiwestliches Drohpotenzial aus, so das BfV. Es rufe ausdrücklich und mit detaillierter Anleitung zu Einzeltäteranschlägen im Westen auf, sagte ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz. So fordert das Magazin dazu auf, Anschläge mit dem Auto, sogenanntes "car ramming" vorzunehmen, um "viele Kreuzritter", wie Christen sowie die Einwohner westlicher Staaten pauschal in islamistischen Kreisen bezeichnet werden, umzubringen. Könne im öffentlichen Raum nicht agiert werden, solle Privatbesitz zerstört werden, etwa Autos oder Läden.
Instrumentalisierung des Anschlags von Würzburg um Nachahmer zu animieren
Laut Zeugen hatte der Verdächtige aus Würzburg während der Tat "Allahu Akbar" (Gott ist der Größte) gerufen und später im Krankenhaus laut einer weiteren Zeugenaussage zudem von einem "persönlichem Jihad" gesprochen. Hinweise auf Propagandamaterial oder sonstige extremistische Inhalte konnten die bayerischen Behörden bisher allerdings nicht finden, die auf eine Verbindung zu einer extremistischen Organisation hindeuten. Dr. Hans-Jochen Schrepfer, der Anwalt des mutmaßlichen Messerstechers, kann unter anderem deshalb kein islamistisches Motiv seines Mandanten erkennen.
Auch dem BfV liegen keine Erkenntnisse über Verbindungen des Attentäters zu den genannten Gruppierungen "Wolves of Manhatten", "Al Malahim Electronic Army" oder "Al-Qaida" vor. Die Verfassungsschützer gehen davon aus, dass die propagandistische Ausschlachtung solche Taten Nachahmer auf den Plan rufen könnte. Nach Erkenntnissen des BfV wurde nach dem Messerangriff in Würzburg in mehreren islamistischen Social-Media-Kanälen zur Nachahmung von Gewalttaten aufgerufen: "Solche Veröffentlichungen zu Attentaten sind – insbesondere, wenn sie in Online-Magazinen wie "Wolves of Manhatten" veröffentlicht werden – geeignet, mögliche Einzeltäter zu inspirieren oder einen möglichen Tatentschluss bei anderen Personen zu verstärken."
Attentäter oft Einzeltäter mit psychischer Erkrankung
Für Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’ s College London und Direktor des Institute for Religious Freedom and Security in Europe (IFFSE), sind Einzeltäter mittlerweile das "dominante Muster von terroristischen Attentätern, wie dem in Würzburg". Neumann zufolge ist bekannt, "dass solche Einzeltäter überdurchschnittlich häufig psychische Krankheitsgeschichten haben. Laut einer Studie von Gill und Corner sogar 13,5 Mal so häufig."
Jihadistische Propaganda "spricht besonders sozial isolierte Personen an und ist in vielerlei Hinsicht auf sie zurechtgeschnitten". Eine Verbindung zwischen jihadistischem Netzwerk und Täter müsse nicht zwingend bestehen: "Das ist schon seit geraumer Zeit so. Attentate sind oftmals nur noch inspiriert. Das demonstriert die zunehmende Rolle des Internets, die Schwäche etablierter Organisation, aber auch, dass Anschläge noch weniger gut voraussagbar und verhinderbar werden", so Neumann.
Bezahlte Anschläge
Am 14. April 2021 hatte das Online-Magazin "Wolves of Manhatten" ein Kopfgeld von 60.000 US Dollar in Bitcoin für denjenigen versprochen, der einen "Kreuzritter-Polizisten" in einem westlichen Land tötet, gegen Vorlage eines Beweisfotos.
Kurz darauf wurde die 49-jährige französische Polizistin Stéphanie Monfermé von Jamel G. erstochen, der dabei laut Zeugenaussage, die französische Medien zitieren, laut "Allahu Akbar" gerufen haben soll. Der tunesische Angreifer wurde daraufhin von einem Polizisten erschossen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Täter islamistische Propagandavideos gesehen hatte. Ob er auch vom ausgelobten Kopfgeld wusste, blieb bisher unklar.
Nach einer Auswertung des Jihad and Terrorism Threat Monitor (JTTM), den das Middle East Media Research Institute MEMRI herausgibt, erschien die 2. Ausgabe von "Wolves of Manhatten" neun Tage vor dem Anschlag auf die Polizistin in Rambouillet bei Paris.
MEMRI Präsident Yigal Carmon hält das Online Magazin "Wolves of Manhatten" für brandgefährlich. Der globale Jihad sei ohne Internet nicht denkbar, sagt Yigal Carmon im Interview mit report München. "Das ist die Kraft, die extremistischen Islam weltweit populär gemacht hat. Das Internet ist wie eine Nuklearmacht außer Kontrolle."
Schutz der Gesellschaft durch mehr Prävention
Die Radikalisierungs-Anschlag-Spirale müsse unterbrochen werden, sagen Experten. Prof. Peter R. Neumann etwa fordert mehr Psychologen und psychologische Beratung in der Präventionsarbeit, um labile Persönlichkeiten gegen den Einfluss medialer islamistischer Propaganda stark zu machen und damit die Gesellschaft als Ganzes zu schützen.
Für die Opfer von Würzburg kommt das zu spät. Das Amtsgericht Würzburg hat auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München am 15.07.2021 die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, möglicherweise sei er zur Tatzeit schuldunfähig gewesen.
Sein Anwalt Hans Jochen Schrepfer geht davon aus, dass sein Mandant "im Vorfeld der Tat keinen Kontakt zu Extremisten bzw. einem Terror-Netzwerk unterhielt". Jedoch ist aus seiner Sicht "grundsätzlich zu erwarten, dass schreckliche Taten Einzelner durch Netzwerke oder sonstige terroristische Organisationen propagandistisch genutzt werden".
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!