Sicherheitspolitisch notwendig – so beschreiben ihre Befürworter die Wehrpflicht. Rund 13 Jahre nachdem sie in Deutschland ausgesetzt wurde, hat sich die Bedrohungslage massiv verändert. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, herrscht in der deutschen Politik überwiegend Einigkeit, dass aufgerüstet werden muss – materiell und personell. Rund 180.000 Männer und Frauen dienen aktuell in der Bundeswehr, die wachsen soll. Angestrebt wird eine Truppenstärke von etwas mehr als 200.000.
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Wehrdienst in neuer Form
Die Zeiten hätten sich verändert und Deutschland benötige eine "Art der Wehrpflicht", ist Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius überzeugt. Den Begriff "Art" benutzt er dabei nicht ohne Grund. Zu der Wehrpflicht der alten Form, die bis 2011 galt, wollen Pistorius und andere Befürworter der Wiedereinführung nämlich nicht zurück. Von der damaligen Dienstpflicht waren grundsätzlich alle Männer eines kompletten Jahrgangs betroffen. Sie konnten allerdings den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern, mussten dafür aber Ersatzdienst leisten.
Für Einberufung von allen fehlen die Strukturen
In der aktuellen Debatte in Deutschland wird eine völlig andere Form von Wehrdienst diskutiert: Es sollen grundsätzlich nicht alle eingezogen werden – dafür hat die Bundeswehr nach Ansicht von Experten überhaupt keine Strukturen mehr. Kreiswehrersatzämter, wie zu Wehrpflicht-Zeiten üblich, gibt es ebenso wenig, wie die damals normalen acht- bis zehn-Bett-Stuben in Kasernen.
Außerdem wären für das Training ganzer Jahrgänge so viele Ausbilder nötig, dass das die dünne Personaldecke der Bundeswehr schwächen würde und zulasten der Kampfverbände gehen könnte. Experten halten die Einberufung ganzer Jahrgänge zur Deckung des Bundeswehr-Personalbedarfs auch gar nicht für nötig. Er sehe "keine große Wehrpflicht-Armee, sondern kontinuierlichen Aufwuchs", sagt Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegenüber BR24, mit Blick auf ein neues Wehrpflicht-Modell.
Nur so viele wie die Truppe braucht
Diskutiert wird aktuell über ein System, bei dem die Bundeswehr selbst den Bedarf steuert, also die Größe von Kontingenten bestimmt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr solle jährlich einen entsprechenden Vorschlag machen, betonte der CDU-Bundestagsabgeordnete Henning Otte im Gespräch mit BR24. Er ist, wie Florian Hahn, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Parlamentes.
Die CDU hat bei ihrem Bundesparteitag in dieser Woche die Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht ins neue Grundsatzprogramm der Partei aufgenommen. Dieser Sinneswandel sei der sicherheitspolitischen Veränderung geschuldet, sagt Otte. Die Politik müsse sich an die Lage anpassen und schrittweise die politischen Voraussetzungen für eine sogenannte "Kontingent-Wehrpflicht" schaffen. Auch die Schwesterpartei CSU will die Wehrpflicht in einer neuen Form. Von einer "militärischen Notwendigkeit", spricht CSU-Politiker Hahn.
Vorbild Schweden?
Der Bundesverteidigungsminister hat zurzeit verschiedene Modelle auf dem Tisch. Es wird damit gerechnet, dass er sich bald für einen Vorschlag entscheidet, mit dem er dann, wie von ihm selbst angekündigt, auf die Suche nach politischen Mehrheiten geht. Bei der Frage, wie eine neue Form der Wehrpflicht in Deutschland aussehen könnte, wird häufig auf Schweden verwiesen.
Dort erhalten alle jungen Männer und Frauen zum 18. Geburtstag einen Fragebogen. Danach wird ein Teil von ihnen, meist 30 bis 40 Prozent eines Jahrgangs, zur Musterung eingeladen und ein noch kleinerer Teil eingezogen – häufig haben die Betroffenen selbst Interesse am Dienst in der Armee bekundet. Meist werden weniger als 10.000 Männer oder Frauen pro Jahr eingezogen.
Mit einer Wehrpflicht nach schwedischem Vorbild könnte der Personalbedarf der Bundeswehr nach Ansicht von Experten leicht gedeckt werden. Befürworter der Wehrpflicht gehen davon aus, dass es gar nicht nötig wäre, Betroffene gegen ihren Willen einzuziehen. CDU-Verteidigungsexperte Otte stellt sich vor, abzufragen, wer zu einem Dienst im Militär bereit wäre und dann auszusuchen.
Gleichberechtigung auch bei Wehrpflicht?
Soll ein solches Wehrpflicht-Modell dann, wie in Schweden, auch in Deutschland Männer UND Frauen erfassen? Nein, sagt CSU-Verteidigungspolitiker Hahn. Frauen könnten, wie bisher, weiterhin freiwillig in die Bundeswehr eintreten. Man brauche keine Vergrößerung der Grundgesamtheit, betont Hahn.
Sein CDU-Kollege Henning Otte sieht das nicht so. Etwas anderes als die Wehrpflicht für Frauen zu öffnen sei in der heutigen Gesellschaft nicht mehr vermittelbar, bekräftigt Otte im BR24-Interview. Eine dafür nötige Grundgesetzänderung hält der CDU-Politiker nicht nur aus Gründen der Gleichberechtigung für nötig. Sie sei auch im Sinne der Bundeswehr. Die Debatte über mögliche Wehrpflicht-Modelle wird die Politik voraussichtlich noch lange beschäftigen. Dass es in Deutschland wieder zu einem "Dienst an der Waffe" kommen wird, ist sehr wahrscheinlich.
Im Video (Archiv): Söder sucht in Schweden Ideen zu Wehrpflicht
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