Kurz nach halb zehn am Morgen an der Realschule im Dreiländereck in Lindau. Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe drängen durch eine Tür, nehmen Platz auf bunten Plastikstühlen. Dann wird es beinahe schlagartig still im Raum.
Hauptmann Fabian von Skrbensky begrüßt die Schülerinnen und Schülern mit einem unüberhörbaren "schönen guten Morgen". Der Jugendoffizier der Bundeswehr steht im Dienstanzug vor ihnen: graue Jacke mit Abzeichen, hellblaues Hemd, Krawatte.
Einsatzmedaillen verraten, dass von Skrbensky nicht immer vor Schülern gesprochen hat. Hinter ihm liegt eine Laufbahn in der Kampftruppe. Er war Panzeroffizier, brachte es bis zum Kompaniechef. Unter ihm dienten 85 Männer und Frauen. Sein "letztes Dienstfahrzeug" war der Leopard II. Von Skrbensky zeigt Bilder des Kampfpanzers. Ob die Eindruck machen, ist schwer zu sagen. Sein Publikum sitzt teils in Kapuzenpullis, Jeans und Sneakern vor ihm. Viele strecken die Beine von sich, verschränken die Arme.
Sicherheitspolitik im Fokus
Um seine Karriere soll es an diesem Vormittag aber höchstens am Rande gehen. Die Zeit in der Kampftruppe liegt hinter Fabian von Skrbensky. An die Realschule ist er für einen Grundlagenvortrag gekommen. Rund 90 Minuten lang spricht er über deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Er thematisiert die Aufgaben der Vereinten Nationen und der NATO, die Einbettung der Bundesrepublik in die internationale Sicherheitsarchitektur. Der Vortrag orientiert sich an den Grundlagendokumenten zur deutschen Sicherheitspolitik. Auf der Agenda stehen deshalb auch Gefahren und Bedrohungen wie internationaler Terrorismus, Waffenhandel, Klimawandel, Seuchen oder Hackerangriffe.
Steigende Nachfrage: "Kalender brennt"
Die Vorträge des Jugendoffiziers sind immer gefragter. Der Termin Anfang Mai ist der 88. in diesem Jahr. Vor der Coronapandemie, berichtet von Skrbensky, habe das Auftrags-Soll gut einhundert Termine pro Jahr betragen. "Der Kalender brennt", sagt er, der als einer von zwölf Jugendoffizieren im Freistaat für Schwaben zuständig ist. Von Augsburg aus reist er zu Vorträgen oder Veranstaltungen im ganzen Regierungsbezirk.
Bundesweit gibt es rund 90 speziell ausgebildete Jugendoffiziere. Auf Einladung halten Sie Vorträge an Schulen oder sprechen vor Vereinen. Möglich sind Schulbesuche ab der neunten Klasse. Die Themen wählen die Lehrerinnen und Lehrer aus.
Wird die Wehrpflicht wieder eingesetzt? Wird es einen Dritten Weltkrieg geben?
Der Trend, den von Skrbensky beschreibt, bestätigt sich bundes- und bayernweit. Nahmen im Freistaat vor der Coronapandemie zuletzt noch rund 26.000 Schülerinnen und Schülern an rund 800 Vorträgen der Jugendoffiziere teil, waren es im vergangenen Jahr schon etwa 31.100 Schülerinnen und Schüler, die rund 930 Schulveranstaltungen beiwohnten. Für dieses Jahr erwartet die Bundeswehr einem Sprecher zufolge weiter steigendes Interesse.
Als Gründe gelten sowohl der russische Großangriff auf die Ukraine als auch der Krieg im Nahen Osten. Dieser hat die Vortrags-Nachfrage angeheizt, berichtet auch von Skrbensky. Lehrer berichteten über "gravierendes Unwissen", etwa im Hinblick auf antisemitische Vorurteile. Er sei froh, "einen Beitrag im Kampf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit leisten zu können", indem er aufkläre.
Die Fragen der Schülerinnen und Schüler seien zwar oft stark abhängig vom Vortragsthema, berichtet der Jugendoffizier, seit 2022 häuften sich aber jene nach der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder der Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkrieges.
Die Lindauer Realschullehrerin Heike Keckeisen, die von Skrbensky an ihre Schule eingeladen hat, sieht in dessen Vortrag eine gute Ergänzung für den Unterricht. Den Nerv einiger ihrer Schüler trifft die Lehrerin damit. Auch wenn an diesem Tag nur wenige Jugendliche Fragen stellen, ist die Resonanz meist positiv. "Spannend" sei es gewesen, schildert einer. Der nächste berichtet, sein Blick auf Kriege und die Politik habe sich durch den Vortrag geweitet.
Pädagogen-Gewerkschaft gegen Vorträge
Für Hauptmann von Skrbensky gilt dabei der Grundsatz: informieren statt rekrutieren. Denn Nachwuchsgewinnung oder -werbung zählt nicht zu seinen Aufgaben. Die obliegt Karriereberatern. Dennoch tritt mit ihm automatisch eine Art Botschafter der Bundeswehr ins Klassenzimmer. Vom "Bindeglied" hatte einst die ehemalige CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gesprochen.
Der Pädagogen-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gehen Besuche der Jugendoffiziere seit vielen Jahren zu weit. Militärs an Schulen sind und bleiben für die GEW ein Unding. Politische Bildung solle Lehrkräften vorbehalten sein, lautet ihre Position. Friedensinitiativen sollten die gleichen Möglichkeiten eingeräumt werden wie der Bundeswehr.
Staatsregierung will Bundeswehr in Bayern fördern
In der Gesetzesinitiative der Bayerischen Staatsregierung zur Förderung der Bundeswehr in Bayern werden Jugendoffiziere ausdrücklich erwähnt.
Im entsprechend zu ändernden Paragrafen heißt es: "Die Schulen arbeiten mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr im Rahmen der politischen Bildung zusammen. Die Karriereberater der Bundeswehr und Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben dürfen im Rahmen schulischer Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten in ihrem Bereich informieren."
Laut einer Sprecherin der Bayerischen Staatskanzlei sollen Jugendoffiziere durch das Gesetz "gesicherten Zugang" zu allen staatlichen Schulen erhalten. Bislang obliege die Entscheidung der Schulleitung. In Anbetracht der erheblich verschärften sicherheitspolitischen Lage sei dies nicht länger angemessen und müsse durch eine allgemeinverbindliches "Ja" zur Information über die öffentliche Sicherheitspolitik ersetzt werden, teilt die Staatskanzlei auf Anfrage mit.
Sie argumentiert, Jugendoffiziere könnten komplexe Sachverhalte neutral und fundiert erläutern und Fragen kompetent beantworten: "Enthalten wir unseren Schülern diese Wissensquelle vor, riskieren wir, dass sich junge Menschen ihre Meinung auf Grundlage von Falschinformationen, zum Beispiel in Social Media-Kanälen, bilden. In Zeiten von gezielten Desinformationskampagnen von ausländischen politischen Akteuren stellt das eine ernste Gefahr für unsere Demokratie dar".
Lehrerverband: Trennung zwischen Bildung und Berufsangeboten wichtig
Vor dem Hintergrund der Gesetzesinitiative betont die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, die Schulen vor Ort würden sich gut überlegen, was sie im Hinblick auf politische Bildungs- und Berufsorientierungsangebote umsetzen. Im Gespräch mit dem BR bekräftigte Fleischmann, Pädagogen müssten weiter selbst entscheiden können, welches Informationsangebot am besten zu welcher Klasse passe. Wichtig ist in ihren Augen eine klare Trennung zwischen politischer Bildung und Berufsorientierungsangeboten. Auf diese legt auch die Bayerische Staatsregierung eigenen Angaben zufolge Wert. Eine Vermischung aus politischer Bildung und Anwerbung für den Dienst in der Bundeswehr werde es auch künftig in Bayern nicht geben, teilt die Staatskanzlei mit.
Der Gesetzesentwurf wurde nach erster Lesung im Landtag zur Beratung in die Fachausschüsse verwiesen.
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