Dem bayerischen Fernsehpublikum dürfte Therese Giehse vor allem als lebenskluge Anna Häusler in Helmut Dietls "Münchner Geschichten" bekannt gewesen sein. Einerseits war das eine typische Rolle für sie, denn eigentlich vermag man sich Giehse gar nicht so recht als junge Frau vorzustellen, als Gretchen im "Faust" oder Ophelia im "Hamlet". Zu "dick" sei sie gewesen, hat sie mal in einem Interview erzählt. Leute hätten ihr abgeraten, ans Theater zu gehen. Und dort habe sie dann auch ausschließlich "ältere Rollen" gespielt.
Dürrenmatt schrieb für sie seine "Physiker" um
Andererseits waren die meisten alten Damen, die sie spielte, keine guten Seelen wie die Häusler-Oma, sondern das, was Giehse selbstironisch "Schreckensweiber" nannte. So wie die Irrenärztin Mathilde von Zahnd in Friedrich Dürrenmatts "Die Physiker", die sie in der Züricher Uraufführung des Erfolgsstücks spielte.
Der Dramatiker hatte die Rolle extra für sie angepasst. "Ich war bei Dürrenmatts oben in Neuchâtel, und da hat er mir das Stück gegeben", so Giehse in einem Interview. "Da sagte ich zu ihm, nachdem ich's gelesen hatte: 'Du wirst lachen, aber keiner von den Physikern würde mich interessieren. Wenn ich ein Mann wäre, möchte ich den Doktor von Zahnd spielen!' Und dann kam er auf einmal an und sagte: 'Pass auf, ich mach eine Frau daraus.'"
Als Jüdin musste Giehse vor den Nazis fliehen
Therese Giehse wurde am 6. März 1898 in München als jüngstes von fünf Kindern eines jüdischen Kaufmannsehepaares geboren. Nach ihrer Schauspielausbildung und Stationen in der Theaterprovinz, unter anderem in Landshut, trat sie 1926 ein Engagement an den Münchner Kammerspielen an, wo sie bis 1933 blieb. Noch kurz bevor die Nazis an die Macht kamen, gründete sie in München mit ihrer Lebensgefährtin Erika Mann das politische Kabarett "Die Pfeffermühle".
- Zum Podcast: Therese Giehse - Ein Leben für die Bühne
Erst als der Druck der Nazis zu groß wurde, ging Giehse in die Schweiz und fand dort, am Schauspielhaus Zürich, eine neue Heimat. Neben Dürrenmatts "Physikern" hob sie dort auch Bertolt Brechts "Mutter Courage" aus der Taufe.
Die Marketenderin, die im Krieg Geschäfte macht, dafür aber mit dem Leben ihrer Kinder bezahlt, spielte Giehse nach eigenem Bekunden "furchtbar viel" und "noch lieber als oft!" gleich 1941 bei der Uraufführung im Züricher Exil. Später aber auch in Wien und, 1950, unter der Regie von Brecht selbst, zurück an den Münchner Kammerspielen, ihre "Heimat", wie sie sagte.
Nach dem Krieg blieb sie auf Distanz zu ihrer Heimatstadt München
Zu ihrer Heimatstadt München und überhaupt zu Deutschland blieb Giehse angesichts der sich dort bald schon breit machenden Geschichtsvergessenheit innerlich stets auf Distanz. Als Jüdin. Als lesbische Frau. Und vor allem auch als bekennende Linke, die in Jesus freilich "einen Roten" sah, wie sie in einem Interview mal kundgetan hat.
So war sie zeitlebens eine widerständige Künstlerin. Als solche feiern sie nun die Münchner Kammerspiele in einem Festival. Mit einem Audiowalk auf ihren Spuren in der Innenstadt sowie einer "Gala für Giehse", bei der ihre Lebensgeschichte als Comic vorgestellt wird. Barbara Yelin, die ihn gezeichnet hat, sagt: Therese Giehses Stärke habe darin bestanden, "Widerständigkeit und Haltung in Kunst zu verwandeln. Und sichtbar darin zu sein."
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