"Bodies in Urban Spaces": Stadtraumperformance am Stadttheater Ingolstadt
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Raus oder rein? Auftakt am Stadttheater Ingolstadt

Raus oder rein? Auftakt am Stadttheater Ingolstadt

Am Stadttheater Ingolstadt hat eine neue Ära begonnen. Dort ist mit Oliver Brunner ein neuer Intendant in seine erste Spielzeit gestartet. Zum Auftakt zeigt eine Performance kunstvoll verdrehte Körper mitten in der Stadt.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Oliver Brunner ist in Bayern kein Unbekannter. Der 55-Jährige war in seiner Laufbahn schon in leitender Funktion am Münchner Residenztheater sowie am Theater Augsburg tätig. Zuletzt war er Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt. Fortan leitet Brunner nun also in Ingolstadt das größte reine Sprechtheater Bayerns außerhalb der Landeshauptstadt München.

Zum Auftakt eine Performance in der Stadt

Zum Auftakt gibt es unter anderem eine Premiere auf der großen Bühne, eine Stadtraum-Performance und ein Kennenlern-Fest. Es gilt also das Motto: "Raus aus dem Theater, rein in die Stadt".

Geführt von Regieassistent Jan Willot-Förster begeben sich rund 100 Zuschauerinnen und Zuschauer auf einen besonderen Stadtrundgang. "Bodies in Urban Spaces" heißt die Performance von Willi Dorner, ein Parcours, auf dem dem Publikums-Tross lebendige, oft skurrile Standbilder begegnen: zwei Performer, die sich unter eine Parkbank gezwängt haben, die Körper eingeklappt wie Schweizer Taschenmesser. Ein ganzes Knäuel aus Menschen, das einen Türrahmen ausfüllt. Oder ein einzelner Mann, ein Meter über dem Boden kopfüber eingeklemmt zwischen einem Verkehrsschild und einer Hauswand. Die Stadtraum-Performance nimmt also Alt-Vertrautes neu in den Blick. Im Grunde genau das, was Oliver Brunner auch sonst sucht im Theater.

"Bodies in Urban Spaces" setzt neben den Performenden – allesamt sport- oder theaterbegeisterte Amateure aus Ingolstadt, die sich über ein Casting beworben haben – auch das Publikum in Bewegung. Körperlich. Und zugleich im Kopf. Man spürt: Aufbruchstimmung. Von der "Weitung des Blicks" spricht etwa einer der Teilnehmer.

Meet and Greet mit dem Theaterpersonal

Ingolstadt ist herbstgrau an diesem Nachmittag, die Hoodies und Jogginghosen der Urban-Spaces-Performer aber sind bunt – so wie das Publikum. Auch Oliver Brunner freut sich darüber, wie vielfältig das Publikum ist, das seine "Amtseinführung" begleitet. Immerhin hat er auch lange dafür geworben.

Schon Wochen vor Spielzeitbeginn startete Brunners Team eine Plakat-Kampagne mit Grußbotschaften in 23 verschiedenen Sprachen: Jede und jeder soll sich willkommen fühlen im Theater, unabhängig vom Alter, aber eben auch von der Herkunft.

Theater zu einem Ort machen, der alle interessiert – so formuliert Lisa Schacher das Ziel der nächsten Jahre. Die neue Stadtdramaturgin hat die Aufgabe, mit Gesellschaftsgruppen Kontakt aufnehmen, die bisher nicht den Weg ins Theater finden. Dazu wird sie zum Beispiel mit einem "Coffee to stay"-Wägelchen unterwegs sein. Das Angebot: Kaffeeklatsch. Sprechen dürfe man über alles, was einen gerade bewege, sagt Schacher. Bei Bedarf gebe auch sie gerne ein Thema vor.

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Auch dafür können Türen genutzt werden: Die Stadtraumperformance am Stadttheater Ingolstadt

Ins Gespräch kommen – darum geht es auch am Kennenlernnachmittag im Theaterfoyer. Mit Musik, Speed-Dating-Tischen, an denen man Mitarbeitende des Hauses – vom Verwaltungsdirektor bis zur Chefdramaturgin – kennenlernen kann. Dazu gibt es Infostände zu den ersten Inszenierungen der neuen Saison, darunter die Spielzeit-Auftakt-Premiere "Opening Night".

Premiere ist auch im Theater

Der Abend erzählt von Myrtle Gordon, einer gefeierten Schauspielerin mittleren Alters, die eine kinderlose, alternde Frau spielen soll, sich aber gegen diese Rolle wehrt. Mirja Biel, mit Intendant Brunner als neue Oberspielleiterin ans Haus gekommen, hat das Stück nach dem gleichnamigen Film von John Cassavetes souverän als Theater im Theater inszeniert – mit dem Ingolstädter Publikum verteilt auf zwei gegenüberliegende Seiten des Geschehens, wovon die eine auf die Bühne, die andere in den Backstagebereich blickt. Die Kulissen werden immer wieder gedreht, und so regelmäßig die Perspektiven vertauscht. Live- und vorproduzierte Videoprojektionen ergänzen das Ganze um Einblicke in die Garderobe und auch Traumsequenzen.

Anders als im Stück, das Weiblichkeits-Klischees reproduziert, geht es in "Opening Night" um deren Dekonstruktion. Indem Mirja Biel die Grenzen zwischen den verschiedenen Handlungsebenen in ihrer Inszenierung verschwimmen lässt, erschüttert sie zudem Gewissheiten: Was ist Fiktion, was Realität? Ein faszinierendes, schillerndes Vexierspiel, an dessen Ende sich aber doch eines mit Sicherheit sagen lässt: So richtig und gut es ist, wenn das Theater rausgeht in die Stadt – es lohnt schon auch sehr, reinzugehen ins Theater.

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