Seit 2019 kümmert sich der Kunsthistoriker Matthias Weniger am Bayerischen Nationalmuseum um die Rückgabe von Silberobjekten aus jüdischem Privatbesitz, die der NS-Staat konfisziert hatte. Die Erbensuche bringt dabei auch Familien wieder zusammen, die die Shoah in alle Welt versprengt hat.
Enteignung jüdischer Bürgerinnen und Bürger
Zu den vielen Zwangsmaßnahmen gegen jüdische Bürger in Deutschland während der NS-Zeit gehörte, dass sie alle Edelmetalle abgeben mussten. Vor dem Pfandleihhaus in der Münchener Augustenstraße bildeten sich im Winter 1939 schier endlose Schlangen. Ein staatlich organisierter Silberraub, dem vor allem kultische Gegenstände wie Silberleuchter und Silberbecher zum Opfer fielen.
Aus diesen Silberzwangsabgaben hatte sich der damalige Direkter des Bayerischen Nationalmuseums, Hans Buchheit, 300 besonders wertvolle Objekte für sein Haus gesichert. Die meisten wurden niemals ausgestellt.
Provenienzforschung führt jüdische Familien wieder zusammen
Provenienzforschung ist Detektivarbeit. Deutsche Gründlichkeit spielt ihr heute in die Hände. Über alles wurde penibel Buch geführt. Nummern, Listen, Schildchen, Aktenordner. Um das Silber den Erben der Geschädigten zurückgeben zu können, musste Matthias Weniger über Akten und Listen alle Familienmitglieder ausfindig machen. Dabei entdeckte er Familienbande, von denen die Betroffenen gar nichts ahnten.
Und so lernen sich im Juli 2024 lernen in der Eingangshalle des Bayerischen Nationalmuseums Nachkommen von Louis Heinrich Henri Heilbronner kennen - sie kommen aus der Schweiz, aus Frankreich und Berlin. Ihr gemeinsamer Vorfahr hatte seit 1919 eine bedeutende Kunsthandlung in München, zunächst in der Karlstraße, später in der Brienner Straße.
Ins Rollen gebracht haben diese Familienzusammenführung zwei Silberleuchter und ein Silberbecher aus seinem Besitz. "Es ist alles sehr spannend, finde ich, sehr interessant – bisschen überwältigend, herrlich, wenn man mit Mitte 30 noch sagt, jetzt kommt eine ganz neue Familie hinzu", sagt sich Adrienne Heilbronner, eine Nachfahrin des Kunsthändlers.
Die letzten Objekte warten auf ihre Abholung
In dem schweren Tresorschrank der Metallwerkstatt im Bayerischen Nationalmuseum stehen mittlerweile nur noch knapp ein Dutzend Leuchter, Kännchen und Becher. Fein aufgereiht auf weißem Papier warten sie auf ihre Überbringung. "Das geht nach San Francisco, dieses nach Minneapolis, dieser Becher hier geht nach Yad Vashem." Matthias Weniger ist sichtlich erleichtert, dass es ihm gelungen ist, alle Objekte zuzuordnen.
Oftmals sind die Silberleuchter, deren Kerzen am Freitagabend vor dem Shabbath angezündet werden, das einzige Andenken an Verwandte. Die beiden Kerzen stehen für "Schamor" und "Sachor", "Hüte" und "Gedenke". Die Heilbronners haben ihr Leuchterpaar einer Familie in den USA geschenkt, die leer ausgegangen war. Man hatte den Washingtonern fünf Objekte zugeordnet, doch nach genauerer Recherche stellten sich das als Verwechselung heraus. Trost kam von den Heilbronners.
Auf Jiddisch heißt das Kerzenanzünden "Licht tsinden" – Lichtzünden. Ein Zeichen der Hoffnung, das Matthias Weniger initiiert hat.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!