Silbermesser, Gabeln, Löffel, Scheren, Tortenheber, Armreifen, Kinderrasseln – es ist eine gespenstische Sammlung, die da säuberlich geordnet hinter einer Glasscheibe ausgestellt ist. Das sogenannte "Silber-Sonderinventar" des Märkischen Museums Berlin stammt aus jüdischen Zwangsabgaben. Ab Februar 1939 wurden Jüdinnen und Juden gezwungen, Edelmetall in Pfandleihanstalten abzugeben.
Der damalige Direktor des Märkischen Museums erhielt die Erlaubnis, die schönsten Stücke anzukaufen. Für Kel O’Neill, einen der beiden Gastkuratoren der Ausstellung "Kunst als Beute" im Berliner Humboldtforum ist das Silber-Sonderinventar eins der eindringlichsten Beispiele für unrechtmäßig erworbene Artefakte in den Museumssammlungen. "Das jüdische Silber steht für unermessliches Leid, das man aus ganz vielen verschiedenen Blickwinkeln sieht", sagt O'Neill. "Es zeigt, dass mit jedem dieser Objekte eine Geschichte aus dem richtigen Leben verbunden ist."
Mit der 3-D-Brille nach Bali
Das Märkische Museum hat inzwischen mit der Jewish Claims Conference eine Einigung erzielt und sich verpflichtet, das jüdische Silber zu zeigen und die historischen Hintergründe zu erzählen. Die anschauliche Ausstellung im Berliner Humboldtforum macht anhand von zehn Beispielen sehr konkret, auf wie vielen krummen Wegen Kunst und Kunsthandwerk in europäische Sammlungen gelangten. Einen verzierten Holzstab aus Surinam hat das Ethnologische Museum 1901 von dem Reisenden Paul Körner erworben. Inzwischen ist aber bekannt, dass die kleine Holzskulptur dem ursprünglichen Besitzer in einer Missionsstation gestohlen wurde.
Kel O’Neill und seine Partnerin Eline Jongsma haben den Dichter Onias Landveld gebeten, sich den Stab anzuschauen. Landvelds Onkel war Chief in der Region, aus der das Exponat stammt. "Seine Bitte war, dass er den Stab in der Hand halten kann. Die Ironie besteht darin, dass er den Stab zwar halten kann, aber nicht ohne Handschuhe. Denn das Objekt ist mit Gift übersprüht, um Ungeziefer abzuhalten. Viele Objekte können nicht mehr in ihrem ursprünglichen Sinn verwendet werden, selbst wenn sie restituiert wurden, weil sie immer noch Spuren von Gift enthalten. Eine bessere Metapher gibt es nicht."
Zum Gift kommt das Blut. Eine 3D-Installation öffnet den Vorstellungsraum für die Herkunft eines Dolches aus Bali. Der Sammler Claus Rodenberg, Angestellter in der niederländischen Kolonialverwaltung, schenkte den Kris dem König von Preußen. Heute befindet sich das Messer in der Sammlung des Ethnologischen Museums.
Die Ausstellung beschränkt sich auf zehn Beispiele
Die Brille für virtuelle Realität versetzt das Publikum in das Jahr 1849, in die balinesische Tempelanlage, aus der die Waffe stammt. Vor den Füssen liegt ein Toter, den Dolch mit der flammenförmigen Klinge in der Hand. Im Hintergrund sind Schüsse zu hören von den Kämpfen zwischen niederländischen Angreifern und balinesischen Verteidigern.
"Uns ist es sehr wichtig, die Leute aus dem Moment der Gegenwart zu holen. Diese Objekte als Dinge zu sehen, die schon vorher eine Geschichte hatten und auch nachher noch eine Geschichte haben werden. Wenn man das macht, nimmt man die Konfrontation aus der Debatte und verwandelt sie in eine menschliche Frage" sagt Kurator Kel O’Neill.
Weil sich die Ausstellung auf zehn Beispiele beschränkt, macht sie deutlich, was Provenienz-Recherche wirklich bedeutet. Und welche ungeheure Arbeit die Museen bei der Erforschung ihrer Sammlungen noch leisten müssen, um reinen Tisch zu machen.
"Kunst als Beute. Zehn Geschichten" - die Ausstellung im Berliner Humboldtforum ist bis zum 26.1. 2025 im Berliner Humboldtforum zu sehen, geöffnet ist dort täglich außer dienstags von 10.30 bis 18.30 Uhr.
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