Puppen - kaum 10 Zentimeter groß, aus hautfarbenen Stoffen genäht, die Bäuche rund, die Gliedmaßen spitz zulaufend, man denkt an Comic-Figuren. Zu Dutzenden liegen sie auf einem Haufen am Boden, als handele es sich um Müll. Sinnbild für ein Massengrab? Das Ergebnis einer Naturkatastrophe? Wie auch immer man sich diesen Menschenhaufen zusammenreimt, der Tenor bleibt: ein Bild voller Gewalt.
Die Fachbereiche gehen ineinander über
Weil der Künstlerin Siyoung Kim das Thema selbst emotional manchmal zu viel abverlangt, sehen wir gleich daneben eine ganz andere Werkgruppe: handbestickte Textilien, die eine wolkenartige Form zeigen: Stich um Stich wachsen sie ins Dreidimensionale.
Die Künstlerin ist im Rahmen der Förderpreise für Angewandte und Bildende Kunst der Stadt München im Bereich Bildende Kunst nominiert, doch ihre Arbeiten gehen nahtlos über ins Angewandte. Das ist das Schöne an dieser Ausstellung: Die fünf Fachbereiche – Architektur, Design, Bildende Kunst, Fotographie und Schmuck - kommen dabei zusammen, ganz ohne Hierarchien.
Mit Kabelbindern und Nylonfäden
Die Textildesignerin Stephanie Kahau ist im Bereich Design nominiert. "Wir haben zum Bespiel ein großes Gewebe, was von Hand an einem Webrahmen gefertigt wurde und es besteht aus alten VHS Kassettenbändern. Ein Spiel aus matt und glänzend, verschiedene Streifen eingewebt - ich liebe das, ins Detail zu gehen", sagt Kahau. In ihrem Atelier in Haidhausen webt, strickt und stickt die Künstlerin, sie experimentiert mit Färbetechniken oder Siebdruck, verarbeitet Kabelbinder und Nylonfäden, genauso wie Wolle und Seide.
Gewalt, Textil-Experimente und nachhaltiges Bauen: Die Ausstellungsbeiträge sind extrem unterschiedlich. Eines aber haben sie laut Kuratorin Luzi Gross doch gemeinsam. Die meisten Werke zeichne eine "große Sensibilität" aus. Die Schmuckkünstlerin Danni Chen hat zum Beispiel eine Zungen-Orthese gebaut. Kleine Metallkäfige in verschiedenen Formen, die - über die Zunge gestülpt - selbige in eine bestimmte Position zwängen. Das erinnert ein bisschen an Maulkörbe, es geht der Künstlerin aber nicht ums Fesseln, sondern um die Optimierung und Verbesserung: "Ich finde unsere Zunge ist ein Organ, um unser Fühlen auszudrücken, unsere Begierde und was wir ausdrücken möchten. Es ist ein Verbesserungsgerät, gleichzeitig ist es ein Käfig." Vor allem aber ist es eine Metapher mit viel Ironie.
Lebendige Szene
Im Fachbereich Fotografie wurde ein Projekt von Francesco Giordano nominiert: Aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums der Abschaffung des Paragraphen 175 - des sogenannten "Schwulen-Paragraphen" - hat er ein Projekt gestartet, dass queere Seniorinnen und Senioren begleitet. Seine Fotos zeigen die stadtbekannte Drag-Queen Sabrina Berndt bei öffentlichen Auftritten wie dem CSD oder beim Oktoberfest, aber auch ganz privat auf dem Sofa, mit wenig Schminke und in Strickjacke. Das Wichtigste sei es für Giordano gewesen, "das Verbindende zu zeigen", den queeren Stolz, "den würdevollen und stolzen Moment einzufangen und auszustellen".
Insgesamt 32 Künstlerinnen und Gestalterinnen bzw. manchmal ganze Teams wurden für die sechs Förderpreise nominiert. München ist teuer, aber von der vielbeschworenen Münchenflucht der Kreativszene ist auf dieser Ausstellung nichts zu spüren, die Auswahl ist hochkarätig, die Szene lebendig.
Ausstellung geht den Förderpreisen der Stadt München voraus
Alle zwei Jahre vergibt die Landeshauptstadt ihre mit jeweils 8.000 Euro dotierten Förderpreise in den Bereichen Architektur, Bildende Kunst, Design, Fotografie und Schmuck. Bevor die Preise am 14. Mai vergeben werden, dürfen alle Nominierten ihre Werke erst einmal in einer großen Ausstellung präsentieren. In diesem Jahr zum ersten Mal in der Rathaus Galerie am Marienplatz.
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