Ein junger Mann steht am Fenster mit Jalousien
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Ein junger Staatsanwalt in der Provinz: "Burning Days" feierte Weltpremiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes.

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Burning Days: Polit-Thriller aus Anatolien

Der türkische Regisseur Emin Alper ist seit seinem Film "Beyond the Hill" einer der wichtigsten Stimmen des europäischen Kinos. Sein neuer Film "Burning Days" erzählt von einem jungen Staatsanwalt in den Bergen Anatoliens.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Er habe unter den Mädchen hier für Aufregung gesorgt, sagt die Richterin zu dem jungen Staatsanwalt, der neu nach Yaniklar in die anatolische Provinz versetzt wurde. "Gibt es denn welche, ich habe gar keine gesehen", antwortet der smarte Jurist. "Aber sie sehen Sie", gibt die Richterin zu bedenken. Und fügt noch an: "Vielleicht finden Sie hier ihr Glück."

Es ist einer dieser kurzen tiefgründigen Dialoge in "Burning Days", der im Original mit Untertiteln zu sehen ist. Sie erzählen viel. Zum einen bestimmen in der Provinz die alten, patriarchalen Strukturen noch auf eine Art und Weise den Alltag, wie das etwa in Istanbul nicht mehr denkbar wäre. Junge Frauen haben auf der Straße in Yaniklar nichts zu suchen. Und zum anderen beobachten überhaupt alle den neuen Staatsanwalt, wollen in jeglicher Hinsicht wissen, woran sie sind mit ihm. Nicht nur die Mädchen. Vor allem von den ortsansässigen Politikern und einflussreichen Geschäftemachern wird Emre observiert, ohne dass er es bemerkt: Kann man ihm vertrauen? Ist er käuflich? Welches Spiel spielt er?

Polit-Thriller aus der Provinz

Demnächst wird gewählt in Yaniklar. Ein Lastwagen mit dem Bild des Bürgermeisters, der erneut antritt, fährt durch den Ort. "Selim Öztürk – Ein Ehrenmann" ist darauf zu lesen, von der "Partei für Ordnung und Aufschwung".

Yaniklar wirkt wie eine Erdogan-Miniaturausgabe der Türkei: Ein dumpfer Nationalismus ist zu spüren, patriarchale Selbstherrlichkeit, Behördenwillkür. Es gibt keine freie Presse mehr. Die Wasserversorgung in der wüstenähnlichen Region, die immer wieder beeindruckend mit Cinemascope-Aufnahmen ins Bild gesetzt wird, ist ein großes Problem. Allein, die korrupten Dienststellen unternehmen nichts, außer das Grundwasser über die Maßen abzupumpen. So entstehen Sinklöcher, sogenannte Dolinen, meterbreite und -tiefe Einsturzstellen mitten in der Stadt, die alles mitreißen: Häuser, Gärten, Menschen, Geschäfte, Autos, Infrastruktur. Geologische Gutachten wurden einfach gefälscht. Die lokalen Politiker machen, was ihnen passt, sie bereichern sich und schanzen ihren Verwandten und Bekannten entsprechend Jobs und Aufträge zu. Entsprechend groß ist das Missmanagement, aber niemand stört sich daran – im Gegenteil: Bei den anstehenden Wahlen wird der alte Bürgermeister wohl der neue sein.

Western, Justizdrama, Thriller: "Burning Days" ist alles auf einmal

Emre, der junge Staatsanwalt, soll gegen die korrupte Wasserversorgung ermitteln. Doch dazu kommt es nicht, weil die Vergewaltigung einer jungen Roma-Angehörigen die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schließlich wird der Staatsanwalt selbst verdächtigt.

Nicht als realistisches Politdrama hat Emin Alper das mit hervorragenden Schauspielern inszeniert, sondern als stilisierte Genrevariation, als faszinierendes verzerrtes Abbild türkischer Gesellschaftsstrukturen – mal Western, dann wieder Justizkrimi, teilweise auch Paranoia-Thriller. Bisweilen stimmt die Balance zwischen den realen Momenten und den überhöhten Szenen nicht ganz – etwa, wenn am Schluss eine Art Lynch-Mob vor das Haus des Staatsanwaltes zieht, wirkt das allzu drastisch. Aber dafür punktet das surreale Ende wieder mit seiner wundersamen Offenheit, in der – ungewöhnlich für Emin Alper – sogar ein wenig Hoffnung mitschwingt: Dass nach den bleiernen Erdogan-Jahren doch noch irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, eine bessere Zeit anbrechen könnte.

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