Unter den Passanten in der Münchner Fußgängerzone steht Sankt Nikolaus hoch im Kurs – und zwar ganz unabhängig davon, wie religiös jemand ist: "Eine Vorzeigefigur", sagt einer. "Weil er die Barmherzigkeit symbolisiert", sagt eine andere.
Nikolaus-begeistert sind auch Nuran und Bezul, gebürtig aus Syrien und vor einigen Jahren nach Deutschland geflüchtet. Obwohl sie gläubige Muslime sind, können sie auch dem christlichen Nikolaus etwas abgewinnen: "Er bringt Freude", sagt Nuran.
Nikolaus-Brauch verdankt sich zugewanderter Anatolin
Tatsächlich ist der Kult rund um Nikolaus, Beschützer der Kinder, aber auch Beschützer der Seeleute und Kaufleute, gewissermaßen aus dem Orient nach Mitteleuropa und auch in den deutschsprachigen Raum eingewandert: Das geht zurück auf eine Prinzessin aus Konstantinopel, die im Jahr 972 Ehefrau des damaligen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, Otto II., und damit zu einer der einflussreichsten Herrscherinnen des Mittelalters wurde.
"So viel wir wissen, war das Theophanu, eine Prinzessin aus dem heutigen Istanbul", erklärt die Ethnologin und Religionswissenschaftlerin Leyla Jagiella. "Theophanu war verwandt mit dem Kaiserhaus und heiratete den Thronfolger des Heiligen Römischen Reiches und kam so nach Deutschland." Und das religiöse Leben hierzulande habe sie dadurch bereichert, dass sie den Nikolaus-Kult mitgebracht habe. "Das war einer ihrer Lieblingsheiligen", sagt Jagiella.
Nikolaus begeistert auch Muslime
Denn im frühmittelalterlichen Byzanz wurde Nikolaus als Wohltäter verehrt, um den sich viele Legenden rankten. Sein ererbtes Vermögen soll er, der Bischof von Myra, den Armen geschenkt haben. Bis heute habe der Heilige, so Jagiella, in den orientalischen und orthodoxen Ostkirchen eine große Bedeutung und damit auch für die christlichen Minderheiten in der heutigen Türkei, aber auch in Syrien, dem Libanon, Israel und Jordanien.
"Während wir den Nikolaus hier ja vor allem mit diesem Weihnachtsbrauchtum identifizieren und verehren an diesem besonderen Tag, hat er in der Glaubenspraxis der Menschen dort das ganze Jahr über eine herausragende Bedeutung", erklärt die Religionswissenschaftlerin.
Als Bischof von Myra lebte Nikolaus im vierten Jahrhundert im spätantiken Anatolien, in der Nähe von Antalya in der heutigen Türkei – einer Region, in der sich über Jahrhunderte Kulturen, Religionen und Ethnien begegneten und mischten.
Heiliger, der für universelle Werte steht
"Wenn Menschen unterschiedlicher Glaubensauffassungen zusammenleben, vermischen sich verschiedene Vorstellungen, und bei den einfachen Gläubigen herrscht häufig so eine Vorstellung: Man nimmt das, was wirkt. Und wenn man hört, da ist eine Kapelle des Heiligen Nikolaus, und wenn man dort betet, werden einem die Wünsche erfüllt – dann gibt es durchaus auch Muslime, die sagen: Ich probiere das mal aus."
Eine Offenheit zwischen den Religionen also, die vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten von führenden Geistlichen beider Glaubensrichtungen stark unterdrückt wurde. Dass der Nikolaus heute dennoch religionsübergreifend beliebt ist, hat vermutlich auch damit zu tun, dass er eben nicht mehr zuallererst religiös gesehen wird, sondern als Figur, die universelle Werte wie Nächstenliebe und Großherzigkeit symbolisiert.