Heute vor 300 Jahren – am 22. April 1724 – wurde Immanuel Kant in Königsberg geboren. Seine Heimatstadt hat der Philosoph nie verlassen, trotzdem hat er – mit seinem Denken – die Welt erobert und unseren Blick auf die Welt nachhaltig verändert.
Ein begeisterter Kant-Leser ist der Schriftsteller und Bestseller-Autor Daniel Kehlmann. Er entdeckte die Philosophie im Studium und lässt den alten Kant in seinem Roman "Die Vermessung der Welt" auftreten. In einem umfangreichen Gesprächsband mit dem israelischen Philosophen Omri Boehm erzählt er von seinem Blick auf Kant – und lässt uns hier teilhaben an seinen Gedanken. Niels Beintker hat mit Daniel Kehlmann gesprochen.
Drei berühmte Fragen
Die drei berühmten Fragen von Immanuel Kant sind bestechend klar: "Was kann ich wissen?", "Was soll ich tun?" und "Was darf ich hoffen?" Für die Antworten hat sich der Philosoph viel Raum genommen, die Reise in der Welt seines Denkens ist ein großes, gelegentlich forderndes und zugleich stets erhellendes Abenteuer. Man kann sich zur Beantwortung der Fragen nicht auf Autoritäten wie Gott berufen, sondern muss den Menschen selbst betrachten. Für die Frage "Was kann ich wissen?" heißt das: Nach welchen Gesetzen funktioniert unsere Erkenntnis überhaupt? Diese Gesetze kommen laut Kant – so Daniel Kehlmann – aus uns.
"Dieses Prinzip der sich selbst gebenden Gesetze", sagt Daniel Kehlmann, "das verfolgt er in der Erkenntnistheorie, wo er sehr umfangreich zeigt, dass die Grundstrukturen der Welt, wie wir sie wahrnehmen, eben geformt sind von Gesetzen, die wir der Welt vorschreiben, die unser Erkenntnisapparat, der erkannten Welt vorschreibt, damit sie überhaupt eine erkannte Welt werden kann."
Zu viel verlangt vom Menschen?
Das ist das Thema der "Kritik der reinen Vernunft", 1781 erschienen, eines der wichtigsten Bücher des 18. Jahrhunderts. Der Philosoph hat die Gedanken auch auf die Auseinandersetzung mit der Kunst übertragen: in seiner zweiten berühmten Kritik, der "Kritik der Urteilskraft". "Man lernt nicht einfach, was gute Kunst ist", so Kehlmann über Kant. "Sondern Kunst ist eben auch etwas, was selbständig Zweckmäßigkeit schafft, Gesetzlichkeit schafft, die wir nicht einfach erlernen, sondern die wir wiederfinden. Wir finden unsere eigene Autonomie wieder in dem Kunstwerk, dem wir gegenüberstehen."
Und schließlich – Kritik Nummer 3 – die praktische Vernunft, auf das konkrete Handeln des Menschen zielend. Zum Beispiel auf die Frage, ob man – in einer Notsituation – lügen dürfe. Nach Kants berühmtem kategorischen Imperativ darf das nicht sein: Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde.
"Er weiß recht genau, was Menschen sind", so Daniel Kehlmann. "Er versteht Psychologie ganz gut. Er hat auch den schönen Satz gesagt: Aus so krummem Holze, als der Mensch gemacht ist, lässt sich nichts Gerades zimmern. Und er sagt tatsächlich – und das ist eigentlich ein erschütternder Gedanke – es ist sogar möglich, dass noch nie ein Mensch moralisch gehandelt hat. Aber: Es ändert eben nichts daran, dass man erkennen kann, wie man hätte handeln sollen, wenn man richtig handeln würde."
Eine bessere Welt bleibt das Ziel
Diese Gedanken sind nicht einfach, sagt Daniel Kehlmann. Aber sie sind faszinierend. Aus ihnen – und aus der Freiheit des Menschen – erwächst die moralische Verantwortung für die Welt. Auch wenn wir aus zu krummem Holze sind – wir müssen doch begreifen, dass sie, die Welt, immer eine bessere sein kann. Und entsprechende Konsequenzen ziehen: "Die Welt wäre besser, wenn der 7. Oktober nicht geschehen wäre, um ein ganz naheliegendes Beispiel zu geben", sagt Kehlmann. "Und allein in dieser Erkenntnis, dass eine andere, bessere Welt, immer denkbar ist, sieht man schon die moralische Dimension. Und in die Zukunft entworfen, sagt Kant, dass wir immer daran arbeiten müssen, diese moralische Dimension einer besseren Welt irgendwann zu realisieren. Und das ist auch möglich. Der Gedanke, dass der Mensch das Bessere erkennt, es aber überhaupt nicht tun kann und nie tun wird, sagt Kant, ist unakzeptabel. Und daher auch nicht wahr."
Daniel Kehlmann ist kein Anwalt Immanuel Kants. Der Schriftsteller liest dessen Werk kritisch, kritisiert die Vernunft selbst mit der Vernunft. Kehlmann weist auf die Widersprüche in diesem Denkgebäude hin, darunter auf die rassistischen Passagen in seiner Anthropologie. Sie stehen im krassen Gegensatz zur Idee des Humanismus und Universalismus – mit der sich jeglicher Rassismus kritisieren lässt.
Kants Ideen als dauerhafte Aufgabe
In der berühmten Schrift "Zum Ewigen Frieden" entwarf Kant ein Weltbürgerrecht, zu ihm gehört unter anderem die moralische Verpflichtung, Flüchtenden Schutz zu gewähren. Und auch Artikel 1 des Grundgesetzes, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, geht auf Kant zurück. "Es ist ein Kantischer Satz", so Kehlmann, "vor allem dieses absolute Wort 'unantastbar'. Diese Absolutheit der ethischen Aussagen. Dass eben die Moral der Bereich ist, wo man nicht relativiert. Ich denke, das hat Kant uns wirklich beigebracht. Und da müssen wir uns immer auf ihn berufen."
Und erkennen: Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist nichts, das einfach so gegeben ist. Sondern etwas, für das wir beständig Sorge tragen müssen, Tag für Tag. Und das ist, Daniel Kehlmann folgend, das Große in der Philosophie Immanuel Kants: Nur der Mensch ist ein moralisches Wesen. Die Sorge um die Welt und ebenso um die Unantastbarkeit der Menschenwürde liegt in seinen – also in unseren Händen.
Der Kant-Gesprächsband "Der bestirnte Himmel über mir" von Omri Boehm und Daniel Kehlmann ist im Propyläen-Verlag erschienen.
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