Im Koalitionsvertrag ist es bereits festgehalten: Die Bundesregierung will die Steuerklassen 3 und 5 für Eheleute und Lebenspartnerschaften abschaffen. Beide Partner sollen stattdessen das sogenannte Faktorverfahren in Steuerklasse 4 nutzen. Noch laufen die regierungsinternen Gespräche. Die Reform soll aber noch in dieser Legislaturperiode kommen.
Der Lohnsteuerhilfeverein Bayern warnt bereits jetzt: Diese Steuerreform könne Familien belasten, die ohnehin schon finanzielle Schwierigkeiten haben.
Mehr Gerechtigkeit durch Steuerreform
Die steuerliche Belastung soll laut Bundesfinanzministerium mit der Reform "anders und gerechter auf die Eheleute, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner" verteilt werden. Die Lohnsteuer würde bei dem sogenannten Faktorverfahren realitätsgenau anhand des Erwerbseinkommens ermittelt werden. Explizit nicht berührt von einer solchen Reform sei das Ehegattensplitting.
Warum Paare bisher die Steuerklasse 3 und 5 wählen
Eheleute haben aktuell die Wahl: Entweder nutzen sie beide die Steuerklasse 4 und damit denselben Steuersatz oder sie teilen sich auf in die Klassen 3 und 5. Der Vorteil hier: Der Hauptverdiener zahlt in Klasse 3 einen sehr geringen Steuersatz. Der Zweitverdiener in Klasse 5 zahlt dafür einen sehr hohen Steuersatz und hat damit ein deutlich geringes monatliches Netto-Einkommen. Zusammen allerdings wird ihnen so monatlich mehr Geld ausgezahlt. Je größer der Verdienstunterschied der beiden, desto deutlicher ist der finanzielle Vorteil, desto mehr muss das Paar aber am Ende des Jahres in der Steuererklärung auch nachzahlen.
Im Prinzip zahlt der Staat Familien ein zinsloses, monatliches Darlehen. Und das nutzen aktuell immerhin zwölf Millionen Paare in Deutschland. Weil dieses Konzept so beliebt ist, sorgt sich der Lohnsteuerhilfeverein Bayern.
Sorge um finanzschwache Familien
Er warnt vor den möglichen Auswirkungen der Reform auf finanziell belastete Familien. Gerade im Hinblick auf steigende Lebensmittelpreise und Energiekosten und besonders, wenn Kinder vorhanden sind, bedeute eine Reform hin zu Steuerklasse 4, dass Familien ein geringeres monatliches Netto zur Verfügung steht. "Wenn es da jetzt schon knapp ist, dann wird es künftig noch schwieriger für die Leute, den Lebensunterhalt zu finanzieren", so Vorstand Tobias Gerauer.
Ein Rechenbeispiel zur Verdeutlichung, wenn die Verdienste des Paares maximal unterschiedlich wären: Partner A verdient 6.900 Euro Brutto, Partner B nur 600 Euro. Dann läge ihr monatliches gemeinsames Netto-Einkommen mit Steuerklasse 3 und 5 bei rund 5.200 Euro. Mit Steuerklasse 4 würden beide gemeinsam auf ein Netto-Einkommen von nur rund 4.700 Euro kommen - 500 Euro weniger im Monat. Hinzu kommt, dass gerade im ersten Jahr der Reform zusätzlich noch die Steuer-Nachzahlung aus dem vergangenen Jahr anstünde. Die Belastung ist also zunächst hoch.
Doch die Rechnung geht weiter: Alle Paare müssen am Ende des Jahres eine gemeinsame Einkommenssteuererklärung machen. Unterm Strich, so Steuerexperte Tobias Gerauer: "Über den gesamten Zeitraum betrachtet inklusive Einkommensteuerklärung gibt es keinen Euro Unterschied." Der einzige Unterschied bleibt also das monatliche Netto-Einkommen.
Eine Reform hätte auch Vorteile - vor allem für Mütter
Trotz dieser kurzfristigen Belastungen könnte die Reform langfristig positive Auswirkungen haben, insbesondere für Mütter. Die unterschiedliche Besteuerung von Ehepartnern trägt oft dazu bei, dass Frauen weniger Anreize haben, ihre Erwerbstätigkeit zu erhöhen.
Eine Anfang April veröffentlichte Studie des ifo-Instituts aus München zeigt: Unter den 30-Jährigen verdienen Mütter im Durchschnitt 70 bis 80 Prozent weniger als Väter. Bei kinderlosen Personen im selben Alter ist der Unterschied mit fünf Prozent weitaus geringer. Deutschland ist damit Schlusslicht im Vergleich zu anderen europäischen und nordamerikanischen Ländern. Der Grund laut ifo: Fehlanreize im deutschen Steuer- und Transfersystem.
Eine Reform der Steuerklassen könnte auf Entscheidungsprozesse in Familien einwirken, weil sich die Verhandlungsmacht verschiebt, sagt Helmut Rainer vom ifo-Institut München: "Diese Verhandlungsmacht wird beeinflusst, zum Beispiel durch das Netto-Einkommen. Die Reform der Steuerklassen hin zu den Steuerklassen 4 und 4 würde die Netto-Einkommen von Zweitverdienern steigern. Das führt auch dazu, dass sich auch die Verhandlungsposition von Zweitverdienern, die oft Frauen sind, innerhalb von Partnerschaften verbessern."
Die Wünsche der Partner würden weniger stark über Verdienstunterschiede ausgehandelt, das betrifft die Erwerbsarbeit, aber auch Entscheidungen zu Konsum und Freizeit, so Helmut Rainer.
Es braucht mehr als nur diese Reform
Trotz der Vorteile, Vorstand Tobias Gerauer bezweifelt, dass ein Blick allein auf die Steuerklassen 3 und 5 ausreichen würde, um Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit am Arbeitsmarkt voranzutreiben. Hierfür müsse man das Steuersystem insgesamt für Familien vor allem in Bezug auf das Ehegattensplitting angehen - und das sei ein großes, emotionales Thema. Wenn man etwas machen wolle, dann lieber "richtig darüber diskutieren: Ist das Ehegattensplitting überhaupt noch zeitgemäß oder nicht."
Und das würde dann auch alle anderen Lebensformen betreffen, wie Alleinerziehende, Getrennte oder Patchwork-Familien, die momentan nicht auf Vorteile wie das Ehegattensplitting zurückgreifen können. In den vergangenen zehn Jahren ist nicht nur die Bevölkerung in Bayern gewachsen, sondern auch die Gruppe der Ledigen und der Geschiedenen. Die einzige Gruppe, die immer kleiner wird, sind die Verheirateten in Bayern.
Dieser Artikel ist erstmals am 22.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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