"Es gibt ja nichts, worum es in der Erzählung nicht gehen darf oder gehen kann. Also, man kann erzählend reden, worüber man grundsätzlich und überhaupt reden kann", sagt der große österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr.
Deshalb erzählt Ransmayr auch in seinen Dankreden bei der Entgegennahme von Literaturpreisen eher als dass er erklärt. Darum berichtet der vielfach Ausgezeichnete selbst bei solchen Anlässen, wenn man von ihm erwartet, dass er über sein Werk spricht, lieber aus abgeschiedenen Weltgegenden – aus dem tibetischen Hochland etwa, dem südchinesischen Meer oder der vulkanischen Gerölllandschaft Islands, kurz: aus der uns meist unvertrauten Ferne, die seine Zuflucht ist.
Reisen ins Entlegene
Er ist bis heute viel unterwegs. Fast hat man den Eindruck, Christoph Ransmayr, der physiognomisch an Edgar Allan Poe erinnert, habe sich aus Poes Erzählung "Das Tagebuch des Julius Rodman" sein Motto gewählt, das da lautet: "Er floh in die Wüste, wie zu einer Freundin."
"Eine Art Halbnomade“, ein "versprengter Wallfahrer" – so charakterisiert sich der Schriftsteller, dem das Reisen auf "Routen ins Entlegene" eine Naturnotwendigkeit ist, und das geschieht bei ihm meist zu Fuß. Dieses Reisen spiele sich, so Ransmayr, nicht in der Hektik ab, in der es vielleicht erscheine, sondern führe von einem stillen, ruhigen Ort zum andern.
Es sei aber natürlich auch eine Form der Erfahrung, der Weltwahrnehmung: "Der, der reist, wird vielleicht eine Art Immunität gegen das Beharren auf dem Standpunkt, eine Immunität gegen jede Art von kulturellem Dogmatismus entwickeln – im günstigsten Fall. Denn das, was an einem Ort so unglaublich wichtig, so unumstößlich und dogmatisch gesichert erscheint, ist schon am nächsten Ort wieder Gegenstand eines Witzes oder verliert alles Gewicht und nimmt eine große Leichtigkeit an und verfliegt", so Ransmayr. Es sei einfach eine große Lust zu reisen und ununterbrochen etwas zu erfahren und die Positionen, an denen man sich gerade eingerichtet hat, wieder aufzugeben und weiterzugehen."
Reisen in schwieriges Gelände
"Ich gehe auf und davon" – das ist der Leitsatz dieses "streunenden Erzählers", der allein oder mit Freunden wie Reinhold Messner karge Gebirgszüge erklettert, unwirtliche Küstengegenden umsegelt oder das Packeis durchwandert. So war er mit Messner, dem "Achttausendermann", 2003 am Schauplatz seines modernen Klassikers "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" – auf den Inseln des Franz-Joseph-Lands. So gut und präzise fand Reinhold Messner das Terrain in Ransmayrs 1984 veröffentlichtem Buch beschrieben, dass er völlig verblüfft war, vom Autor zu hören, er sei dort bisher nicht gewesen und seine Schilderungen damals seien sämtlich sorgfältiger Recherche und ansonsten der Imagination geschuldet.
"Es ist natürlich so, dass für einen Erzähler das schwierige Gelände deswegen interessant werden kann, weil das, was ein menschliches Leben ausmacht – oder auch das Dramatische und Komische – im schwierigen Gelände umso deutlicher wird", so Ransmayr. Die einzelne Figur, die sich zum Beispiel im Hochgebirge, die sich zum Beispiel durch eine Ruinenlandschaft – deren Kontur und deren Geschichte wird dadurch, allein durch den Hintergrund deutlicher."
Mündlichkeit der Literatur essentiell
Ransmayr taucht in fremde, letzte Welten ein – manchmal im Wortsinn. In seinem Buch "Damen und Herren unter Wasser" über das Leben in den tiefsten Tiefen des Meeres nimmt er uns mit bei dem, was er "submarines Fliegen" nennt.
Der Österreicher ist auch ein begnadeter Vorleser. Das Vorlesen als kulturelle Praxis hält er hoch, auch weil für ihn die Oralität, die Mündlichkeit der Literatur essentiell ist. Durch das viele Reisen – und er sei ja sehr oft in schriftlosen Gesellschaften unterwegs, mit Berbern im Atlasgebirge, Erzählern im tibetischen Hochland oder in Amazonien -, habe er gesehen und mit großer Faszination gehört, dass es eben eine wunderbare Art von Literatur gibt, die auf Schrift verzichten kann, die nur eine Stimme und ein Ohr braucht.
"Mein Thema ist der einzelne", schreibt Ransmayr in seinem Werk "Geständnisse eines Touristen. Ein Verhör". Darin stellt er fest, weder sei er ein Prediger noch Moralist noch Prophet. Das "journalistische Meinungsinkasso", dieses "Was denken Sie über diese oder jene politische Angelegenheit?" interessiert ihn nicht.
Erzählender Reporter
Begonnen hat der langsam arbeitende Romancier als literarischer Reporter, u.a. für die Zeitschrift "Transatlantik". Aber auch, wenn es um Reportagen gehe, sei für ihn das Schreiben immer etwas, das mit Erzählen zu tun hatte, so Ransmayr. "Denn es ist immer so: Wenn man sich auf Wirklichkeit bezieht, ist die Geschichte, die daraus resultiert, zum Teil natürlich Faktum, auf der anderen Seite aber bleiben auch für den Reporter so viele leere, weiße Flecken auf der Landkarte seiner Erzählung, die er dann ausfüllt mit seiner Vorstellung davon, wie das, was ist, geworden sein könnte oder wohin sich das, was ist, entwickeln könnte. So dass auch dort, wo man sich vermeintlich im gesicherten Bereich der reinen Fakten bewegt, dass auch da das Erzählen längst schon begonnen hat."
Der Reporter glaube, er wäre immer noch ein Dokumentarist, dabei erzähle er schon längst. Und aus dieser Beschäftigung mit den weißen Flecken auf der Landkarte der Wirklichkeit, die man erzählend auszufüllen trachtet, entwickele sich das Erzählen sehr logisch und sehr plausibel, sagt Ransmayr.
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