Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller
Bildrechte: picture alliance / newscom | JIM RUYMEN

Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller bei der diesjährigen Oscarverleihung in Los Angeles

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Deutsche gingen leer aus: Kein Oscar ist keine Schande

Alle drei deutschen Künstler, die in diesem Jahr für einen Oscar nominiert wurden, bekamen am Ende keinen. Das sagt jedoch nichts über die Qualität aus. Denn die Vergabe folgt einigen ungeschriebenen Regeln.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wenn ein Fußball-Schiedsrichter mehrmals ein eindeutiges Foul im Strafraum nicht ahndet, reicht beim nächsten Mal oft schon eine kleine Nickligkeit für einen Elfmeter. Die Kommentatoren sprechen dann meist von ausgleichender Gerechtigkeit. Aber nicht nur Fußballer können davon ein Lied singen, sondern auch Filmschaffende. Dann nämlich, wenn es um die Verleihung der weltweit wichtigsten Filmpreise geht: den Oscars.

So musste der Regisseur Martin Scorsese erst mehrere Meisterwerke wie "Taxi Driver" (1976), "Raging Bull" (1980) oder "GoodFellas" (1990) drehen, ehe er 2007 für seinen ungleich schwächeren Film "Departed – Unter Feinden" den ersten Oscar bekam. Die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts, die die Oscars vergibt, wollten die Versäumnisse ihrer Vorgänger wohl endlich einmal ausbügeln. Zumal die Gelegenheit günstig war: Denn in diesem Jahr waren zwar starke Filme wie "Babel" oder "Die Queen" im Rennen, aber eben kein einhundertprozentiger Favorit.

Der Leidensweg des Leonardo DiCaprio

Beinahe legendär ist auch die Leidensgeschichte von Leonardo DiCaprio. Seit seiner ersten Nominierung als "Bester Nebendarsteller" im Film "Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa" im Jahr 1994 mussten 22 Jahre vergehen, ehe er 2016 für seine schauspielerische Leistung in "The Revenant" den Oscar als "Bester Hauptdarsteller" erhielt.

Warum erst jetzt und nicht schon zwei Jahre vorher für "The Wolf of Wall Street", könnte man da natürlich fragen, für den er ebenfalls als "Bester Schauspieler" nominiert war? War seine Darstellung des Börsenmaklers Jordan Bellfort oscarverdächtiger als die des Trappers Hugh Glass? Oder sah es DiCaprios Schicksal einfach vor, dass er erst in die ausgeweidete Bauchhöhle eines Pferdes kriechen musste, um dann als strahlender Gewinner wieder herauszuklettern? Aber vielleicht hatte die Academy in diesem Jahr ja einfach auch Mitleid mit dem armen Leo, der es doch eigentlich schon lange verdient hatte – ganz nach dem Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit.

Sandra Hüller geht leer aus

Denn auch bei den Oscars gilt eben oft: Gut Ding will Weile haben. Und mit diesem Sinnspruch wird sich auch die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller gut arrangieren können. Für ihr großartiges Schauspiel im Film "Anatomie eines Falls" war sie in der Kategorie "Beste Hauptdarstellerin" nominiert. Die Trophäe erhielt am Ende Emma Stone, die in "Poor Things" eine von der Kritik hochgelobte Performance ablieferte. Was Sandra Hüller aber nicht wahnsinnig betrüben dürfte. Ist doch die Nominierung alleine schon eine Ehre. Denn zuletzt war dies der deutschen Schauspielerin Luise Rainer in den 30er-Jahren - also noch zu Stummfilmzeiten - widerfahren.

Zudem dürfte bei der Beurteilung nicht ausschlaggebend gewesen sein, welche Schauspielerin die eine Nuance besser spielte, sondern letztlich die Tatsache, dass Stone bei den Oscars und damit in Hollywood keine Unbekannte ist. Sie blickt auf zwei Nominierungen und eine Auszeichnung zurück: Schon 2017 erhielt sie für den Film "La La Land" ebenfalls den Oscar in der Kategorie "Beste Hauptdarstellerin".

Christopher Nolan ist an der Reihe

Aus Sicht der Academy mag Sandra Hüller in Sachen Oscars einfach noch ein zu unbeschriebenes Blatt gewesen sein. Wie auch die Regisseurin des Films "Anatomie eines Falls" selbst, Justine Triet. Sie musste sich dem Historiendrama "Oppenheimer" von Christopher Nolan geschlagen geben. Für den im Übrigen ähnliches gilt wie für seinen Regie-Kollegen Martin Scorsese.

"Oppenheimer" mag nicht Nolans bester Film gewesen, aber nach Filmen wie "Inception", "Interstellar" oder auch der Batman-Trilogie war er jetzt einfach mal an der Reihe. Zumal in der langen Geschichte der Oscars mit "Parasite" bislang nur einmal ein nicht-englischsprachiger Film in den Kategorien "Bester Film" und "Beste Regie" gewinnen konnte. Insofern dürfen die Nominierungen für "Anatomie eines Falls" alleine als Auszeichnung gelten. Zumal der Film in der Kategorie "Bestes Originaldrehbuch" sogar gewürdigt wurde.

Hüller in der Eröffnungsrede erwähnt

Die beiden deutschen Regisseure Wim Wenders und İlker Çatak gingen mit ihren Filmen "Perfect Days" (für Japan) und "Das Lehrerzimmer" (für Deutschland) hingegen leer aus. Sie unterlagen in der Sparte "Bester internationaler Film" dem Beitrag aus Großbritannien "The Zone of Interest".

Was wiederum Sandra Hüller freuen dürfte, denn somit musste sie nicht mit ganz leeren Händen nach Hause fahren, spielte sie in ebenjenem doch die weibliche Hauptrolle. Zumal sie in der Eröffnungsrede von Host Jimmy Kimmel direkt darauf angesprochen wurde: "Sandra Huler", so Kimmel, spiele in "Anatomie eines Falls" eine Frau, die wegen Mordes an ihrem Ehemann vor Gericht steht, und in "The Zone of Interest" eine Nazi-Hausfrau, die in der Nähe von Auschwitz lebt. "Während dies für amerikanische Kinobesucher sehr schwere Themen sind, nennt man sie in Sandras Heimat Deutschland Rom-Coms", scherzte er.

Spätestens damit dürfte sie in Hollywood keine Unbekannte mehr sein. Und wer weiß, vielleicht wird sich die Academy in ein paar Jahren denken: "Diese Sandra Hüller haben wir jetzt schon so oft übergangen. Jetzt wird es endlich Zeit." Ganz nach dem Prinzip: ausgleichende Gerechtigkeit.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!