Ja, es gab Comics in ihrem Elternhaus. Allerdings waren die nur "geduldet", erinnert sich Barbara Yelin. "Meine Eltern hätten mir, glaube ich, nie einen Comic geschenkt." Bildergeschichten hatten in Deutschland in den Achtzigern eben noch immer einen schweren Stand. Zumal in einem bildungsbürgerlichen Haushalt. Viele Bücher, wenig Comics. Mit einer Ausnahme, meint Yelin. Wilhelm Busch sei auch im Bücherregal der Eltern sehr präsent gewesen.
"Mein Vater hat mir das immer vorgelesen", erzählt sie. "Max und Moritz mochte ich nicht so gerne, ehrlich gesagt. Aber Busch hat eine sehr moderne Art, zu zeichnen und eine sehr lockere Art, Geschichten zu erzählen."
Wilhelm Busch ist Deutschlands bis heute wahrscheinlich wichtigster Beitrag zur Comicgeschichte. Und zu der gehört eben auch, dass hierzulande die Bildgeschichten jenseits der Kinderzimmer lange um einen Platz im Kulturleben kämpfen musste. Ganz anders bei der Comic-Großmacht Frankreich.
Yelins erste Comics erschienen in Frankreich
Die leistete zum Glück Entwicklungshilfe: Die ersten zwei Alben von Barbara Yelin erschienen dort, Anfang der 2000er war das. Aber es hat sich etwas getan seither. In der deutschen Comicszene ist Yelin mittlerweile eine Erfolgsautorin – mit Auflagen von über 10.000 Exemplaren.
Yelin lebt mit ihrer Familie in München, wo sie auch aufwuchs. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Kunstförderpreis, dem Max-und-Moritz-Preis, dem Ernst-Hoferichter-Preis und einem Arbeitsstipendium der Landeshauptstadt München. 2025 hat sie ein zehnmonatiges Stipendium an der Villa Massimo in Rom. Davor – am Montagabend nämlich – erhält Yelin den Schwabinger Kunstpreis.
Die Zeichnerin hört genau zu ...
Ihre Themen sind oft ernst, etwa die Geschichte einer Serienmörderin im 19. Jahrhundert: Ihr letztes großes Projekt erzählt die Biografie der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel, eine niederländische Jüdin, die heute in Israel lebt. Durch ein internationales Projekt seien sie bekannt gemacht worden, erzählt Yelin. "Und der erste Zugang war: Zuhören."
Ihre Fähigkeit, zuzuhören ist es vielleicht auch, die Yelins Werk so besonders macht. Es gibt bei ihr keine schnellen Zuordnungen, sondern erkennbar das Interesse, der Hauptfigur zu folgen, auf jeder ihrer Umwege.
... und pflegt einen Stil, der den Prozess sichtbar macht
Das drückt sich auch in ihrem aufwändigen Zeichenstil aus. Der ist weit weg vom franco-belgischen Stil der ligne claire (klare Linien), aber auch von dem eines Wilhelm Busch. Yelins Umgang mit Farbe ist einzigartig, hat etwas von Aquarellmalerei. Während viele Comicautoren, vor allem die, die am Computer arbeiten, das Makellose, das Perfekte schätzen, sieht der Leser bei Yelin: Hier hat ein Mensch gearbeitet. Man sieht also auch Übermalungen, sogar Radierspuren.
Yelin umarmt also das Scheitern, so sagt sie es auch selbst. "Meinen Zeichnungen ist schon eigen, dass man den Prozess auch sehen darf. Weil dieses Radieren ist ein Teil der Erzählung. Diese Schichtungen sind ja auch Denkebenen. Und das finde ich auch okay, wenn man das sieht."
Ihre aktuelle Arbeit schließt an diese Recherche an. Nach dem 7. Oktober hat sie das Online-Projekt "Wie geht es dir" mitinitiiert. Yelin und ihre Mitstreitenden setzen damit ein entschiedenes Zeichen der Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terroranschlags, aber auch mit den zivilen Opfern im Gazastreifen.
Der Schwabinger Kunstpreis ist eine Auszeichnung für Persönlichkeiten und Institutionen, die in besonderer Weise künstlerische oder kulturelle Leistungen im Sinne Schwabings erbracht haben. Vergeben wird er seit 1961. Erhalten haben ihn unter anderem schon Pamela Wedekind, Hanna Schygulla, Dominik Graf oder Ilse Neubauer. Die diesjährige Verleihung findet am Montagabend statt. Neben Barbara Yelin werden dort auch die Band Malva und das Kino Studio im Isabella geehrt.
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