Der Weg entlang an den Büchern ist alles andere als kurz. Die Kamera folgt Umberto Eco durch die eigene Bibliothek, vorbei an hohen Regalen. Die Schwarz-Weiß-Sequenz, die Davide Ferrarios Dokumentarfilm eröffnet, entstand 2015 für eine Videoinstallation zur Biennale in Venedig. Sie führt in das Bücherreich des Schriftstellers und Semiotik-Professors: 30.000 Bände und noch einmal 1.500 antike Bücher, darunter große Folianten aus der Renaissance.
All das herrlich kunterbunt, weiß Ferrario. In der Bibliothek finde man populäre italienische Literatur des 19. Jahrhunderts, aber auch französische Feuilletons oder Sherlock Holmes und Comics, sagt Ferrario. "Die Bibliothek war wie eine Landkarte. Und wie bei jeder Karte entscheidest du dich für eine Route. Er hat uns glücklicherweise eine ganze Reihe von Routen gezeigt."
Umberto Ecos Interesse an eigenwilligen Wissenssammlern
Davide Ferrarios Film ist keine bloße Dokumentation der beeindruckenden Bibliothek eines beeindruckenden Intellektuellen. Die Bücher dienen als Grundlage für einen Blick auf Umberto Ecos Denken. Es geht um sein Interesse an eigenwilligen Wissenssammlern wie dem Jesuiten Athanasius Kircher, um Fiktion und Wahrheit.
Ebenso um Ecos Thesen zur digitalen Revolution und ihre Auswirkungen auf das Gedächtnis der Menschheit, zum Lärm, den das Internet aus seiner Sicht verursacht und der das Wissen der Welt verändert. Viele Interview-Sequenzen sind zu sehen, manche wunderbar komisch. Etwa die, in der Eco erklärt, er habe zwar ein Handy, aber er schalte es nicht ein. Er wolle keine Textnachrichten versenden.
Ecos Frau, Kinder und Enkel kommen zu Wort
Die Musik in Davide Ferrarios Film ist nicht nur Beiwerk: Spielerische Kompositionen von Carl Orff begleiten die Bilder, darunter das Stück "Gassenhauer". Vor allem aber - eine tolle Entscheidung - verzichtet Ferrario voll und ganz auf klassische Muster einer Dokumentation: berühmte Menschen sprechen über einen berühmten Menschen. Der Regisseur hat stattdessen Umberto Ecos Familie - seine Frau Renate, die Kinder, den Enkel - begleitet. Immer wieder sieht man sie, die Bücher in den Händen, blätternd und erzählend.
Die Bibliothek gehört dem italienischen Staat
In einem weiteren Erzählstrang des Films zeigt Davide Ferrario Bibliotheken in aller Welt: historische, in Italien, aber auch in der Schweiz, in Sankt Gallen, ebenso moderne, in Stuttgart und in China. In ihnen – auch das eine schöne Idee – interpretieren Schauspielerinnen und Schauspieler Essays von Umberto Eco. Seine Texte werden zu lebendigen Erzählungen.
Einen Text mag Davide Ferrario ganz besonders. Darin erzählt Eco, "wie gern er als Schüler ins Theater gegangen ist. Er musste aber vor Mitternacht zurück sein, sonst wäre er nicht mehr ins Internat gekommen. So sagt er: Ich weiß nicht, wie die großen Stücke ausgegangen sind. Ich weiß nicht, wie Othello endet. Bringt er Desdemona um oder nicht. Das war so lustig. Und ebenso bedeutungsvoll".
Davide Ferrarios Film "Umberto Eco. Eine Bibliothek der Welt" ist eine Liebeserklärung – an einen originellen Denker und an das Denken selbst. Die Bibliothek des "Professore" gehört heute dem italienischen Staat. Aus dem ursprünglichen Wunsch von Ecos Familie, diese vor dem Umzug noch einmal zu dokumentieren, ist eine spielerische, immer wieder augenzwinkernde, zugleich philosophische Dokumentation entsprungen. Unter anderem das gibt uns Umberto Eco auf den Weg: intellektuelle Neugier zu haben, bedeutet, am Leben zu sein.
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