Was für ein Beginn! Selten fängt ein Film so phänomenal an. Nicolas Cage, ein Biologieprofessor, steht in seinem herbstlichen Garten und recht neben dem Swimmingpool das von den Bäumen herabgefallene Laub. Seine jüngste Tochter sitzt ein paar Meter weiter auf der Terrasse, als plötzlich die Glasplatte des Tisches neben ihr explodiert und sich in einen Scherbenhaufen verwandelt. Cage recht unbeeindruckt weiter das Laub. Die Tochter entdeckt einen Schlüsselbund im zerborstenen Glas. Dann fällt aus dem Himmel ein Schuh in den Pool. Und kurz darauf ein Mann. Entsetzt wendet sich die Tochter an ihren Vater, doch der sagt nur: "Alles gut, Süße."
Auf einmal setzt die Schwerkraft aus: Blätter heben sich vom Boden und segeln durch die Luft, und die Tochter wird Richtung Himmel gezogen, während Cage immer noch dasteht und Laub harkt. Auflösung: Die Tochter hat alles geträumt. Sie erzählt davon am Frühstückstisch. Ihr Vater ist beunruhigt. Er fragt: Warum habe ich nichts unternommen? Warum stehe ich immer nur rum in deinen Träumen? Es sei jetzt schon der dritte dieser Art gewesen.
Ist das wirklich Nicolas Cage?
Realität und Traum verschwimmen ständig in diesem Film. Aber es wird noch verrückter. Denn immer mehr Menschen träumen von dem mittelmäßigen Biologieprofessor namens Paul, dessen Vorlesungen alles andere als packend sind und der mit seinem Outfit – grauer Bart, Halbglatze, schlabbriger Pullunder – eher wirkt wie ein prekärer Außenseiter und nicht wie ein halbwegs renommierter Wissenschaftler. Nicolas Cage spielt diesen unscheinbaren Mann mit der Intensität des Understatements so, dass man sich zu Beginn schon mal kurz die Augen reibt und fragt, ob es sich wirklich um ihn handelt. Es sei vielleicht die persönlichste Rolle, die er je gespielt habe, erklärte Cage zum Filmstart, und eigentlich habe er "kaum spielen müssen".
Das "Dream Scenario" läuft bald aus dem Ruder. Paul Matthews wird zum Star. Leute, die ihn nicht kennen und ihn nie zuvor gesehen haben, träumen von ihm. Seine Biologievorlesungen werden zu Happenings, die Werbeindustrie fängt an, sich für ihn zu interessieren. Doch dann verändert sich die Dynamik – nämlich, als immer mehr Menschen berichten, dass Paul plötzlich in ihren Träumen bedrohlich wirke und sogar brutale Morde begehe. Alles kippt – aus Staunen, Ver- und Bewunderung werden Hass und Ablehnung.
Achtung, Spoiler – Am Ende geht die dramaturgische Puste aus
Der 1985 in Oslo geborene, norwegische Filmregisseur Kristoffer Borgli, der auch fürs Drehbuch zuständig war, hat eine kluge Horror-Tragikomödie über die Schattenseiten plötzlichen Ruhms inszeniert, über die Vermarktung von Prominenz, über die Mechanismen von sozialen Medien und Cancel Culture. Der von Nicolas Cage gespielte Paul Matthews geht durch die Hölle. Dabei hat er nichts gemacht – er taucht ja "nur" in Träumen auf.
Und wer es wissen möchte, dem sei verraten: Das "Wieso und warum" lässt der Film, dem gegen Ende ein bisschen die dramaturgische Puste ausgeht, offen. Jede Erklärung wäre nur banal. Sehenswert ist auf alle Fälle der unglaubliche Nicolas Cage, der beeindruckend einen Jedermann spielt, einen Menschen, der eigentlich die Öffentlichkeit scheut, aber trotzdem nach Anerkennung sucht. Ein bisschen wie jede und jeder von uns.
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Video: Trailer von Dream Scenario
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