Anruf bei Florian Knauß, dem Leiter der Staatlichen Antikensammlungen in München. Auch hier befinden sich Teile des antiken Parthenon-Tempels aus Athen. In der Dauerausstellung sind sie nicht zu sehen, denn es handelt sich um Fragmente, klein und unbedeutend, ihre bildhauerische Qualität lässt sich kaum erahnen, ohne die eindeutigen schriftlichen Quellen wüsste man nicht einmal, dass die Teile vom Parthenon sind. Interessant sind die Stücke vor allem, weil sie von der Griechenland-Faszination des 18. und 19. Jahrhunderts erzählen: Fragmente des Parthenon wurden seinerzeit "wie Stücke von Heiligen Kreuz" gehandelt.
Eine offizielle Rückgabeforderung gibt es derzeit nicht, sagt Florian Knauß. Abgesehen davon ist der Archäologe auch gegen die Rückgabe der Londoner "Elgin Marbles". Nach damaligem Verständnis habe Lord Elgin die Skulpturen rechtmäßig erworben: "Lord Elgin besaß ein Ferman, also ein Schreiben des Sultans, Griechenland war zu jener Zeit Teil des Osmanischen Reiches und mit dieser Erlaubnis war es ihm gestattet, Skulpturen abzunehmen und nach England zu bringen."
Experte warnt vor "Blut-und-Boden-Ideologie"
Rückforderungen aus Griechenland erscheinen Florian Knauß auch noch aus einem anderen Grund illegitim: Das Osmanische Reich hatte sich seit dem 14. Jahrhundert zunächst Teile und später das gesamte Gebiet des heutigen Griechenlands einverleibt. Einen griechischen Staat gibt es erst seit 1830. Rechtsnachfolger der heute griechischen Gebiete wäre nach Meinung von Florian Knauß also die Türkei.
"Wenn wir nämlich anders verfahren", so Knauß, "wenn wir sagen, das ist nationales Kulturgut Griechenlands, dann kommen wir in Teufels Küche. Es hat nie einen griechischen Staat vor 1830 gegeben. Wenn wir jetzt aber gewissermaßen mit einer Blut-und-Boden-Ideologie chauvinistisch an die Sache herangehen und sagen, das sind unsere Vorfahren, dann wird es aus meiner Sicht sehr gefährlich. Wir wollen ja auch nicht Ansprüche stellen aus der Zeit Arminius oder aus der Stauferzeit, als es mal ein Heiliges Römisches Reich gegeben hat, das sehr viel größer war als das heutige Deutschland. Italien hat mit dieser Argumentation auch mal Ansprüche auf das gesamte Mittelmeer erhoben, das wollen wir doch nicht wiederhaben."
Für das eigentliche Schmuckstück der Münchner Antikensammlungen in der Glyptothek - den Ägineten-Fries vom Aphaia Tempel - gibt es übrigens auch keine Rückgabeforderungen. Hier ist die juristische Grundlage noch eindeutiger: Der Tempel war 1811 entdeckt und kurz darauf auf einer internationalen Versteigerung angeboten worden – mit offizieller Erlaubnis des Sultans. König Ludwig I. erhielt damals den Zuschlag.
Parthenon-Stücke in München und Würzburg
Weitere Stücke des Parthenon-Tempels gibt es in Bayern im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Der Namensgeber des Museums, Martin von Wagner, war so etwas wie der Chef-Kunsteinkäufer von König Ludwig I., die meisten der heute in Bayern befindlichen Antiken besorgte er.
Beim Parthenon-Stück aus Würzburg handelt es sich um ein "pezzatino prezioso di marmo", wie es in frühen Quellen heißt, also um ein hübsches kleines Stück aus Marmor. Es zeigt einen bärtigen Mann im Profil, ein Kentauer im Kampf, und es stammt nicht von dem berühmten Fries, den Lord Elgin herausschlagen ließ, sondern von einem anderen Teil des Tempels, von wo es schon viel früher heruntergefallen war. Von Wagners Schwager hatte es im Schutt gefunden.
Ist es also ein unwichtiges Stück? Nein, sagt Jochen Griesbach, Direktor der Antikensammlung des Museums: "Aus meiner Sicht leistet es hervorragende Dienste für die Bewerbung der griechischen Kultur, das ist ja auch nicht mehr selbstverständlich, dass sich im dritten Jahrtausend nach Christus die Menschen für eine griechische Antike interessieren, und in so einem Museum kann man natürlich dafür werben und eintreten, dass die griechische Kunst nach wie vor wertvoll und mitteilsam ist und dass man viel lernen kann, wenn man sich die Dinge anschaut. Das wäre natürlich etwas anderes, wenn wir dergleichen nicht mehr hätten und alles sich in Griechenland befände."
Mitte der 2000er-Jahre hat es laut Griesbach mal ein Schreiben der griechischen Kommission für die Restitution des Parthenons an das Bayerische Kultusministerium gegeben, die Forderungen wurden damals abschlägig beantwortet. Anders als im aktuellen Streit zwischen Griechenland und England hatte das damals keinerlei diplomatischen Verwerfungen zur Folge.
Uni Heidelberg gab 2006 Parthenon-Teile zurück
Anders in Heidelberg: Die Universität gab 2006 ein anderes Stück des Parthenons an Griechenland zurück: ein acht mal zwölf Zentimeter großes Fragment eines menschlichen Fußes. Weder für Forschung noch für die Vermittlung war es zu gebrauchen. Leider erhöhte das den Druck auf alle anderen Museen: Fragmente des Parthenons sind von Paris über Kopenhagen, Wien, Palermo und den Vatikan in den Museen über die ganze Welt verstreut.
Experte sieht auch politische Motive
Letztlich geht es der griechischen Regierung auch nicht um die kleinen Einzelteile, meint Jochen Griesbach. Griechenland geht es um den kunsthistorisch wertvollen und auch für Laien beeindruckenden Fries im British Museum in London, die Elgin Marbles: "Und da sehe ich im Moment keine juristische Handhabe, das ist eine rein ethische Frage, und vor allen Dingen ist es eine politische Frage. Man muss sich vor Augen halten, dass Politiker versuchen, an dieser Stelle Erfolge zu feiern oder Druck zu entfalten, die für die aktuelle Agenda und Stimmungslage wichtig sind. Aber, ob das irgendjemandem hilft, wenn solche Kulturgüter sich an ihre Plätze zurückbewegen, das bleibt abzuwarten."
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