Bei einem Prozess am 4. August 2023
Bildrechte: Alexej Golenischjew/Picture Alliance

Alexej Nawalny und seine Anwälte

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"Es bleibt nur noch der Untergrund": Nawalnys Anwälte durchsucht

Die Büros von drei Rechtsvertretern des russischen Oppositionspolitikers wurden vom Geheimdienst durchsucht, die Anwälte festgenommen. Kollegen planen einen landesweiten Solidaritäts-Streik, Nawalny fühlt sich an die Sowjetunion erinnert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Es ist unmöglich geworden, politisch engagierte Menschen zu schützen", seufzte die russische Oppositionspolitikerin Elwira Wicharjewa, die als "ausländische Agentin" geschmäht wird. "Die Behörden haben für ihre Gegner die vollständige Isolation und die gesellschaftliche Hinrichtung vorgesehen. Es ist nicht mehr möglich, dagegen juristisch vorzugehen, es bleiben nur noch der Untergrund und die Emigration." Das alles sei so klar, dass die Worte fehlten, so Wicharjewa, die im vergangenen März den Vorwurf erhoben hatte, selbst mit Kaliumdichromat vergiftet worden zu sein.

Anlass für die Empörung der Bloggerin: Die Büros von drei Anwälten des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny wurden wegen "Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft" behördlich durchsucht. Später wurden Igor Sergunin, Alexej Liptser und Wadim Kobsew als Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen. Letzterer sollte Nawalny am selben Tag in einem Verfahren vertreten, dass der Dissident gegen die Strafanstalt angestrengt hatte, in der er seine 19-jährige Haft wegen "Extremismus" verbüßt. Zuvor war ihm bereits eine neunjährige Strafe wegen "Betrugs" zugemessen worden. Den Anwälten sollen bis zu zwei Jahren Haft drohen.

Nawalny: "Wie zu Sowjetzeiten"

Nawalny selbst erfuhr von einem anwesenden Journalisten im Gerichtssaal davon, dass seine Anwälte nicht erscheinen würden und sagte nach Angaben des Exil-Portals "Medusa": "Sehr geehrtes Gericht, gerade sind Informationen eingetroffen, die natürlich nicht nur mein Verfahren, sondern auch den allgemeinen Stand der Rechtmäßigkeit in Russland perfekt charakterisieren. Wie zu Sowjetzeiten werden nicht nur politische Aktivisten verfolgt und zu politischen Gefangenen gemacht, sondern auch ihre Anwälte. Und ich habe erfahren, dass meine Anwälte derzeit durchsucht werden, einige von ihnen wurden inhaftiert, und es gibt keine weiteren Informationen. Aber im Zusammenhang mit dem, was gerade eingegangen ist, bitte ich natürlich darum, [die Gerichtsverhandlung] zu verschieben, im Allgemeinen verstehe ich die Aussicht, meine Verteidigung neu organisieren zu müssen, nicht wirklich. Also ich brauche einfach Zeit."

"Sicherheitskräfte wollen sich Sterne verdienen"

"Generell stehen wir vor einem neuen Rechtsverständnis: Wenn ein Anwalt jemandem hilft, den die Behörden als Extremisten betrachten, kann er nun selbst als Extremist gelten", hieß es in einem Blog. Dort wurde vermutet, dass die Anwälte verfolgt würden, weil sie Nawalny dabei geholfen hätten, Informationen aus der Lagerhaft herauszuschmuggeln. Die neuen Rechtsvertreter würden die "Botschaft" sicherlich verstehen und "niemandem mehr irgendetwas weitergeben". Womöglich gebe es ein zweites Motiv für die Behörden: "Es gibt fast keine Extremisten mehr im Land, und der unbeschäftigte Teil der Sicherheitskräfte will weiter was zu beißen haben und sich Sterne verdienen. Deshalb werden sie den Fall Nawalny bis zum letzten Tropfen ausquetschen und immer mehr Menschen darin verwickeln."

Das Portal "Russland kurzgefasst" mit 500.000 Abonnenten will aus den Kreisen der Sicherheitsbehörden erfahren haben, dass Nawalnys Anwälte gewarnt worden seien, dem Gefangenen zu "helfen, eine extremistische Organisation" zu leiten. Hintergrund sei die Behauptung von Nawalny, er schreibe alle seine Posts selbst und wolle mit seinen Anhängern in "direktem Kontakt" bleiben. Es gehe wohl darum, diese Kommunikation zu unterbinden. Schließlich sitze Nawalny in einer Einzelzelle und bekomme dort nach eigener Aussage nicht mal Papier und Stift ausgehändigt, so dass er entsprechende Helfer haben müsse.

"Sie werden keine Nawalny-Texte mehr zu sehen bekommen"

Blogger Alexej Fedjarow schrieb, eigentlich seien Nawalnys Anwälte ja "mutige und kluge Leute", sie hätten allerdings einen Fehler gemacht: "Sie werden keine Texte oder Gerichtsreden von Alexej Nawalny mehr zu sehen bekommen. Auch von anderen politischen Gefangenen wird es keine SMS mehr geben. Das System hat diese Kanäle geschlossen. Genauer gesagt: Die weitere Nutzung des bestehenden, überwachten (daran zweifle ich nicht) Kanals für den Austausch von Informationen und Texten politischer Gefangener und ihrer Anwälte wurde als unangemessen angesehen."

Kommentator Sergej Udalzow meinte: "Die Verfolgung von Nawalnys Anwälten zeigt deutlich, dass es in naher Zukunft keine Entspannung gegenüber prowestlichen Oppositionellen, keinen Austausch oder Amnestien geben wird. Im Gegenteil, am Vorabend der Präsidentschaftswahlen 2024 wird das 'Anziehen der Schrauben' weitergehen; wir können mit Verhaftungen von Andersdenkenden aus anderen politischen Richtungen rechnen – Linken, Nationalpatrioten usw."

Wird Nawalny ausgetauscht?

Anderen Quellen zufolge haben die Anwälte Probleme bekommen, weil sie sich für eine "Anti-Korruptionsstiftung" engagierten: "Sie verloren objektiv ihren Status als Anwälte und wurden zu Kurieren und politischen Aktivisten", wurde ein Sicherheitsmann zitiert. Ein angeblich gut informierter Journalist wird mit dem Hinweis genannt, es stehe womöglich der Austausch von Nawalny bevor: "Diese Anwälte waren unzuverlässig. Sie behalten keine Geheimnisse für sich und sind mit ihm verbandelt. Für den Austausch ist größtmögliche Stille erforderlich."

Bemerkenswert ist, dass der Anwalt des inhaftierten rechtsextremen Putin-Gegners Igor Strelkow, Alexander Molokow, den Verband der russischen Anwälte aufforderte, einen eintägigen Solidaritätsstreik für die verfolgten Kollegen auszurufen.

"Anwälte genießen keine Immunität"

Henry Reznik, Chef der russischen Kommission für die Rechte von Anwälten, sagte zur Verfolgung seiner Kollegen: "Das ist natürlich ein außergewöhnlicher Vorfall, aber Anwälte genießen keine Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung." Formal sei alles in Ordnung, da die zuständige Rechtsanwaltskammer informiert worden sei. "Substanzielle Schlussfolgerungen" gebe es erst nach genauerer Prüfung. Michail Barschewski, der die russische Regierung beim Verfassungsgericht vertritt, verteidigte das Vorgehen der Behörden mit den Worten: "Wenn Anwälte in ihrem eigenen Namen bestimmte Handlungen begangen haben, die Bestandteile eines Verbrechens enthielten, ist die Durchführung von Durchsuchungen gerechtfertigt, da sie auf eigene Verantwortung gehandelt haben."

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