Dass Regisseur Robert Eggers bis zuletzt nicht enthüllt hat, wie sein Nosferatu denn nun eigentlich aussieht, hatte sicher auch Marketinggründe. Stichwort: Spannung. Die hatte dieser Film auch nötig: Vom Plot war sie nicht zu erwarten. Die Draculageschichte, die in "Nosferatu" nur mit anderen Namen erzählt wird, ist so etwas wie das Neue Testament des modernen Horrors. Man kennt sie – so ungefähr jedenfalls. Dass dieser Nosferatu auf der Erzählebene nicht unbedingt überraschen würde, war also von Anfang an klar. Zumal Eggers immer betont hat, wie sehr er sich dem Original verpflichtet fühlt.
Und trotzdem konnte man neugierig sein, was er in seinem Remake veranstaltet. Eggers eilt ein Ruf voraus. Drei Langfilme hat er bisher gedreht, jeder ist auf seine Weise speziell. Aber eines zeichnet sie alle aus: ein hyperrealistisches, historisch genau recherchiertes Setting, das jedoch Platz lässt für das Unheimliche. Die tatsächlich spannende Frage lautete also: Gelingt es Eggers, für seinen "Nosferatu" eine ähnlich dichte, unbehagliche Atmosphäre zu schaffen – etwas, das diese so oft erzählte Geschichte nochmal neu erscheinen lässt?
Die kurze Antwort: Ja, es gelingt – das hat allerdings weniger mit seinem historischen Hyperrealismus zu tun, sondern mehr mit Licht und Kamera. All die pittoresken Szenenbilder, die Kostüme, Fassaden und Interieurs, die Verzierung des Vampirsargs, auch der "authentische" Schnörres, hinter dem der Blutsauger fast verschwindet – fleißig, aber nunja. Atmosphäre entsteht eher über die ausgedünnte Farbigkeit der Bilder, die den Film streckenweise fast schwarzweiß erscheinen lässt. Oder das Mondlicht, das die Nacht so eigenartig grell macht. Delikatesse und Drastik – damit spielt Eggers gekonnt.
Die Geschichte kennen wir – was also soll uns hier umhauen?
Schon die Reise des jungen Immobilienagenten Thomas Hutter (Nicholas Hoult) zum Grafen Orlock (Bill Skarsgård), der auf seiner ranzigen Schlossruine in den Karpaten die Rückkehr in die Zivilisation plant, gleicht einer Traumsequenz. Ähnlich wie in F.W. Murnaus legendärem Nosferatu-Stummfilm von 1922 reihen sich hier einzelne Szenen aneinander, ohne besonders nachvollziehbar ineinanderzugreifen. Immer wieder friert die Kamera die Bilder zu Zeitlupen ein, um sie dann wie an einem Gummizug vom Haken schnellen zu lassen.
Angesichts dieses visuellen Stop-and-Go: Nur verständlich, dass Hutter bereits derangiert im Schloss ankommt, wo die Präsenz des Grafen sein kleines Panikherz in ein chronisches Flattern versetzt. Tatsächlich bleibt Nicholas Hoult in seiner Rolle derart konsequent verschreckt, dass man darin eine bewusste Inszenierung vermuten muss, sozusagen die Umkehr eines Horrorfilmklischees. Oft genug sind es Frauen, die kreischend vor Monstern davonrennen. Hier ist Panik Männersache.
Hutters Ehefrau Ellen, verkörpert von Lily-Rose Depp, wird dagegen deutlich aufgewertet. Nicht nur bannt sie am Ende die Gefahr, indem sie sich dem Vampir hingibt. Bei Eggers ruft sie ihn auch herbei. Von Anfang an ist die Erzählung auf sie fokussiert. Ihr Begehren bringt die Katastrophe über eine Zivilisation, in der sonst keckernde Männer in steifen Kragen den Ton angeben.
Reiner, roher Drang
Und darin liegt der wahrscheinlich größte Unterschied, den Eggers Verfilmung zu anderen Adaptionen aufweist. Selbst der Vampir ist hier eine Nebenfigur, nur eine Seite ihrer Psyche. Bill Skarsgård röchelt sich im sturen Kontrabass durch diesen Film hindurch – zu eintönig, um ein kompletter Charakter zu sein. Und gerade deswegen die perfekte Verkörperung von reinem, rücksichtslosem Instinkt, von rohem Drang; ein Drang, der natürlich nichts ist, ohne das, worauf er sich richtet. Nichts ohne Ellen.
Obwohl sich Eggers Bilderfeuerwerk irgendwann abnutzt, die Albtraumsequenzen nach zwei Stunden etwas ermüden – dieser Dreh macht seinen "Nosferatu" doch sehenswert.
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