Ihre großen Forschungs-Themen sind der "Holodomor" und das sowjetische Lagersystem und die autokratischen Staatssysteme von heute. Jetzt erhält die engagierte, in Polen lebende amerikanische Publizistin Anne Applebaum den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Dienstagmorgen mitteilte.
Analyse kommunistischer und postkommunistischer Systeme
Anne Applebaum ist eine Expertin für osteuropäische Geschichte und hat schon früh vor den imperialen Expansionsgelüsten Wladimir Putins gewarnt und etwa die russische Gazprom als Instrument russischer Außenpolitik begriffen. Die 59-Jährige gilt als eine der wichtigsten Analytikerinnen autokratischer Herrschaftssysteme. Zu ihren bekanntesten Büchern zählen "Der Gulag", "Roter Hunger" sowie "Die Verlockung des Autoritären".
"Die polnisch-amerikanische Historikerin und Publizistin hat mit ihren so tiefgründigen wie horizontweitenden Analysen der kommunistischen und postkommunistischen Systeme der Sowjetunion und Russlands die Mechanismen autoritärer Machtergreifung und -sicherung offengelegt und sie anhand der Dokumentation zahlreicher Aussagen von Zeitzeug*innen verstehbar und miterlebbar gemacht." So lautet die Begründung der Jury. Mit ihren Forschungen zur Wechselwirkung von Ökonomie und Demokratie sowie zu den Auswirkungen von Desinformation und Propaganda auf demokratische Gesellschaften zeige Applebaum auf, wie fragil diese sind – besonders wenn Demokratien von innen, durch Wahlerfolge von Autokraten, ausgehöhlt werden.
Streitbare Essayistin
Anne Applebaum hat als Polen-Korrespondentin für die britische Zeitschrift "The Economist" sowie britische Tageszeitungen gearbeitet, sie lehrt an der London School of Economics and Political Science. Sie widmet sich seit langem schon dem Kampf gegen die Verbreitung von Fake News, Desinformation und Propaganda. Als streitbare Essayistin bezieht die Historikerin in der Debatte um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wieder klar Position. 2004 gewann sie den Pulitzer-Preis, in diesem Jahr erst erhielt sie den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verleiht seit 1951 den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, ein Jahr zuvor wurde er als "Preis der Verleger" gegründet. Im vergangenen Jahr wurde Salman Rushdie als Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Jahre zuvor waren es der ukrainische Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadan (2022), die Filmemacherin und Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe (2021) und der indische Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph Amartya Sen (2020). Zu den prominentesten Gewinnern des seit 1950 vergebenen Preises gehören Margaret Atwood (2017), David Grossman (2010), Susan Sontag (2003), Jürgen Habermas (2001), Astrid Lindgren (1978), Nelly Sachs (1967) und Hermann Hesse (1955).
Traditionell wird der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels immer am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen – in diesem Jahr wird es der 20. Oktober sein.
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