Ein anhaltender, ziehender Klang: So klingt es, wenn man nah an die Saiten einer bereits an den Verstärker angeschlossenen E-Gitarre kommt. Wohlgemerkt: Hier hat noch keiner in die Saiten gegriffen. Aber das Geräusch aus dem elektrischen Feld lässt sich bereits zu Kunst verarbeiten. Oder man kann es eben als Störung einfach wegschneiden. Kunst von 50 Kreativen aus den letzten 100 Jahren, deren Fehler bewusst oder unbewusst stehengeblieben sind, wird in der Ausstellung "Glitch – Die Kunst der Störung" präsentiert. Sie beruht auf der Doktorarbeit von Kuratorin Franziska Kunze.
"Es ist eben keine Glitch-Art-Ausstellung", sagt Kunze. "Es ist eine Ausstellung, die sich mit Fehlern beschäftigt, mit Glitches, also mit ungeplanten Störungen, die entstehen. Und sie umfasst Fotografie, Video, digitale Bildlichkeiten."
"Der Fehler ist häufig produktiv"
In der historischen Abteilung etwa stößt der Besucher auf einen komplett schwarzen Fotoabzug. Man Ray gibt ihm den Titel "Meine letzte Fotografie". Der Kölner Künstler Chargesheimer belichtete Prominente wie den Maler Ernst Wilhelm Nay oder den Dirigenten Günter Wand falsch – und schuf damit besondere Charakterporträts.
"Der Fehler ist sehr häufig produktiv. Ich würde sogar sagen, er ist immer produktiv, weil wir immer etwas von ihm lernen, weil wir versuchen, eine Lösung zu finden, wenn der Fehler in einem Moment stattfindet, wo er vielleicht wirklich nichts zu suchen hat. Aber in anderen Fällen ist er in jedem Fall etwas, das die Kreativität anregt", erzählt Kuratorin Franziska Kunze.
Die Ausstellung soll durchrütteln
Der koreanische Videokunstpionier Nam June Paik prägte einst den Lehrsatz: "When too perfect – lieber Gott böse." Hier spricht aus seinem Fernseher der amerikanische Watergate-Präsident Richard Nixon. Und ein vor den Bildschirm gehängter Magnet verzerrt das Bild, löscht die Farben. Ein absichtsvoller Störeffekt, ein Künstler-Kommentar. Überall flimmern Videos, glitschen Bilder durch oder verändert der Curser einer KI Fotos von Dragqueens genderfluid bis zur Unkenntlichkeit, wie bei der Arbeit des Engländers Jake Elwes.
"Ich möchte, dass alle ein bisschen durchgerüttelt werden, sich von der Ausstellung anpieksen lassen", sagt Kuratorin Kunze.
Franziska Kunze stieß bei den Vorbereitungen zu "Glitch" auch auf den 83-jährigen Künstler Timm Ulrichs aus Hannover. Er verfertigt romantische Landschaftsansichten in der Nachfolge von Caspar David Friedrich aus Filmabfällen. Sein Fazit: "Man muss nicht immer gleich verzweifeln. Der Zweifel ist eine Produktivkraft."
Die Ausstellung "Glitch: Die Kunst der Störung" läuft noch bis Mitte März 2024 in der Pinakothek der Moderne in München.
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