Ein altes Fabrikgebäude mit großen Fenstern, dahinter ein Hof und ein Wohntrakt, ein selbstgebauter Ofen und ein Saunahäuschen, auf der angrenzenden Wiese steht ein Cafétisch, im Hintergrund rauscht ein Bach. Hier hat der Verein "Kulturhandwerk" seinen Sitz: eine Gruppe junger Keramikerinnen, Schreiner, Goldschmiede, Schneiderinnen und Metallbauer, die nicht nur ihre handwerklich hergestellten Produkte, sondern auch ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten wollen.
"Wir sind alle irgendwie Individualisten und auch Idealisten", erklärt Pauline, "und das führt automatisch dazu, dass man einfach ein Bestreben hat, seine Umgebung und sein Wohnen und Arbeiten selbst zu gestalten."
Wohnen, Arbeit und Kultur am selben Ort
Pauline, Claudia, Jakob und Paul sitzen im Garten und erzählen, worum es ihnen geht. Pauline und Claudia sind Keramikmeisterinnen, Jakob ist Dachdeckermeister und baut Tiny Houses, Paul ist Keramiker- und Ofenbaumeister. Anfangs haben sie einfach einen Platz gesucht, an dem man arbeiten und wohnen kann: "Viele Leute suchen nach einer Work-Life-Balance" erzählt Paul, "was eigentlich bedeutet, dass man einen Gegenpol bildet vom Privatleben zur Arbeit. Aber eigentlich sind wir sehr zufrieden mit dem, was wir tun, und deswegen haben viele von uns nach Wohnen und Arbeiten am selben Ort gesucht, weil sie das gern verbinden, weil die Arbeit einen Anteil am glücklichen Leben hat."
Work-Life-Balance? Der falsche Ansatz!
Außerdem wollen sie nicht immer nur allein arbeiten. Künstler und Kunsthandwerker verbringen oft viele Stunden allein in ihren Werkstätten und Ateliers – für die Kulturhandwerker von Pfettrach wäre das nichts, sagt Claudia: "Es ist halt auch toll, projektübergreifend arbeiten zu können, sich Sachen teilen zu können und auch einfach mal nach nebenan gehen zu können und zu fragen, kannst du mir mal helfen."
Die Synergien sind offensichtlich: Die Schreinerei beispielsweise ist sehr groß, Maschinen werden gemeinsam genutzt. Für die Keramikerinnen gibt es sage und schreibe zwei Elektro-, zwei Holzbrand- und noch einen Gasofen: Davon kann ein Keramiker, der seine Werkstatt allein betreibt, nur träumen.
Das Gelände der alten Schreinerei haben die Freunde – von denen sich die meisten aus der Keramikfachschule in Landshut her kennen – 2017 auf Ebay Kleinanzeigen entdeckt, seither sind unzählige Stunden Eigenarbeit in Sanierung und Ausbau geflossen, der Vermieter unterstützt sie und lässt ihnen freie Hand.
Aber es geht ihnen nicht nur um sich selbst. Deshalb haben sie 2019 den Verein "Kulturhandwerk" gegründet. Ziel ist die Förderung von Kunst, Kultur und Handwerk. Der Verein organsiert Kurse, Ausstellungen oder – wie an diesem Wochenende – einen Kunsthandwerksmarkt. "Es geht uns schon auch darum, Handwerk oder Kunsthandwerk ein bisschen in den Fokus zu rücken, weil Kunst- oder Kulturhandwerk oft ein bisschen untergeht neben der akademischen Kunst", sagt Pauline.
Mittlerweile leben 15 Bewohner vor Ort, andere haben nur ihre Werkstatt auf dem Gelände, und manche auch gar nichts: Pauline zum Beispiel hat ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt ganz woanders, ist aber rege im Verein tätig. Genau darum geht es: Der Verein sei keine esoterische Hippie-Kommune, sondern eine Gruppe sehr vernünftiger und lebenskluger Menschen. Sie hätten schon mit Mitte 20 gewusst, dass das Glück für sie im Tun liegt, dass man gemeinsam mehr schaffen kann und dass Austausch und Begegnung mit anderen zu ihrem Lebensglück dazugehöre.
Große Freude macht es ihnen auch, Wissen weiterzugeben. Paul zum Beispiel unterrichtet einige Stunden an der Keramikschule in Landshut: "Das macht voll Spaß, das weiterzugeben, und es ist in dem Moment ein leichter Job, wenn man es schafft, dass die Leute Bock drauf haben. In dem Moment, wenn man die infiziert hat, ist es dann einfach cool zuzuschauen. Und ich glaube, dass das auch eine Verantwortung ist von jedem, der was gelernt bekommen hat, dass er es irgendwann auch mal weitergibt."
Wissen, Werkzeug, Begeisterung: Alles wird geteilt
Wissen, Werkzeug, Begeisterung: All das wird gern geteilt. Und mit ihrem Handwerk schaffen sie Produkte für andere. Paul zum Beispiel macht wahnsinnig gern Kachelöfen: "Das verbindet Gestaltung, Innenarchitektur und etwas, was unbedingt nötig ist, dass man es warm hat im Winter. Und ich hab' immer das Gefühl, dass ich dem Kunden wirklich was Gutes tue und für ihn ein essenzielles Problem lösen kann."
Jakob wiederum ist der ideale Tiny-House-Bauer: "Bei mir war es so, dass ich schon in der Jugend Bauwagen ausgebaut habe, das war der Jugend-Treff. Und ich hab dann auch selbst im Zirkuswagen gewohnt, im Tiny House, deswegen kann ich Kunden besser beraten." Jakob verwendet keine fertigen Platten, sondern baut mit traditionellen Holzverbindungen und auf Wunsch auch Holzschindeldächer. Außerdem bietet er seinen Kunden an, unter seiner Anleitung am Haus mitzuarbeiten – soweit sie wollen und können.
Das Glück lieg im Tun
Am vergangenen Wochenende veranstalteten die Kulturhandwerker einen großen Kunsthandwerksmarkt auf dem Gelände in Pfettrach, mit Ausstellern aus den Bereichen Textil, Keramik, Glas, Schmuck, Illustration, Metall, Holz und vielem mehr. Nicht nur Vereinsmitglieder stellten aus, sondern auch Gäste von außerhalb.
Und weil Leben und Arbeiten zusammengehört, sei so ein Markt keine reine Verkaufs-Veranstaltung: "Es gibt natürlich noch das ganze Drumherum, das einfach Spaß machen soll mit Musik und Essen und so weiter. Kinder und Familien sind natürlich auch immer willkommen, das ist uns ganz wichtig, dass es generationsübergreifend eine Veranstaltung ist."
Interessierte Aussteller können sich für das kommende Jahr bewerben.
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