Schauwand einer Ausstellung
Bildrechte: BR/Andreas Wenleder

Die Ausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?" läuft bis Ende Juli 2024

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Holocaust-Zeitzeugen: Wenn keiner mehr berichten kann

Schon bald wird niemand mehr leben, der über die Vernichtungslager der Nationalsozialisten berichten kann. Eine Ausstellung an der Universität Regensburg zeigt Aussagen von Zeitzeugen – hinterfragt aber auch den Umgang mit ihnen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Es ist eine nicht zu ändernde Tatsache: Immer weniger Menschen leben, die aus eigener Erfahrung über den Terror und die Vernichtungslager der Nationalsozialisten berichten können. Ein Verlust, sagt Jörg Skriebeleit von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, welche die Ausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?" im Gebäude der Universitätsbibliothek Regensburg zusammen mit dem Jüdischen Museum im österreichischen Hohenems gestaltet hat.

"Was definitiv verloren geht – und das ist auch durch nichts zu ersetzen – ist die Unmittelbarkeit einer Person, die zu einem spricht. Die Kommunikation, dass man mit jemanden in Austausch treten kann", sagt Skriebeleit. Was bleibt, ist der Nachlass der Zeitzeugen: Vor allem Video- und Audiointerviews der Betroffenen, die viele Menschen und Institutionen in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt haben.

Umgang mit Zeitzeugen hinterfragen

Die Ausstellung hat aus Tausenden Interviews mit Überlebenden des Nationalsozialismus gezielt einzelne Berichte ausgewählt und zeigt sie in Film und Ton. Doch dabei bleibt es nicht. Die Ausstellung will noch mehr: Die Grundidee sei auch, den Umgang mit Zeitzeugenschaft infrage zu stellen, sagt Skriebeleit.

Oft würden die Aussagen der Überlebenden auf wenige verkürzte Kernaussagen reduziert, obwohl die Dinge tatsächlich komplexer sind, sagt der Leiter der KZ-Gedenkstätte. Auch gebe es immer wieder die unerfüllbare Erwartungshaltung, Zeitzeugen könnten etwa Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben oder ein moralischer Kompass in den Krisen der Jetztzeit sein. Rollen, die viele nicht einnehmen können und manche auch nicht einnehmen wollen.

Schutz vor Instrumentalisierung

Die Ausstellung soll infrage stellen, was den Überlebenden teilweise zugemutet wird, sagt Skriebeleit, der auch die Gefahr einer Instrumentalisierung von Zeitzeugenberichten sieht. "Wir als Gedenkstätte und Universität Regensburg haben schon den Auftrag, diese Menschen und was sie uns hinterlassen haben, vor dieser Instrumentalisierung und Vernutzung zu schützen."

Kritisch sieht Skriebeleit auch technisch ausgefeilte neue Methoden der Vermittlung. Wenn Zeitzeugen beispielsweise in Studios mit Dutzenden Kameras bei ihren Aussagen gefilmt werden, um daraus dreidimensionale Video-Hologramme produzieren zu lassen oder wenn programmierte Zeitzeugen mithilfe von Künstlicher Intelligenz Fragen von Usern beantworten sollen. Als Gesellschaft, Lehrer oder Gedenkstättenmitarbeiter hoffe man vielleicht, dass das helfen kann, sagt Skriebeleit. "Aber vielleicht ist das eine falsche Hoffnung."

Berichte als Lernauftrag

Auch wenn mit den letzten Zeitzeugen die Möglichkeit zum direkten Austausch für immer verloren geht, bleibt vieles, was sie hinterlassen haben: Texte, Interviews oder auch nur Zeichnungen oder Gegenstände. All das kann Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Schicksalen der Menschen sein. "Das, was uns die Überlebenden und die Nichtüberlebenden der nationalsozialistischen Lager mitgeben, ist der tiefste Abgrund, der auch ein Lernanlass und Auftrag sein kann", sagt Skriebeleit.

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