Autorin Joy Willams
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Nach 51 Jahren auf Deutsch: "In der Gnade" von Joy Williams

Nach 51 Jahren auf Deutsch: "In der Gnade" von Joy Williams

In ihrem 1973 erschienenen Debüt-Roman erzählt Joy Williams die Geschichte einer Familie zwischen religiösem Eifer und tief verwurzeltem Trauma. Nun ist das Buch auf Deutsch erschienen.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

"In der Gnade" – wer bei diesem Titel an Religion denkt, liegt nicht ganz falsch. Im Romandebüt von Joy Williams hat Jason Jackson die Religion auf seiner Seite, "und damit Gott und den Teufel". So jedenfalls sagt es seine Tochter Kate. Ihr Vater ist ein Prediger, schwarz gekleidet, mit langem weißem Haar, beinahe eine Guru-Figur. Und einer, der seine Tochter von Kindheit an in eine enge, gefährliche Beziehung hineinzieht.

Dem Vater entkommen

Joy Williams lässt nur diesen dunkel glühenden Kern einer Familie bestehen: Kates Schwester kommt bei einem Unfall ums Leben, die Mutter stirbt zusammen mit einem ungeborenen Kind. Die Atlantikinsel vor Neuengland, auf der Kate aufwächst, schildert Williams als karg und kalt, ein eng begrenztes Terrain wie aus einer anderen Zeit. Von dort aus macht sich Kate auf nach Florida, um dem Vater zu entkommen, geht ans College, gehört einer Schwesternschaft an, lebt mit ihrem Ehemann in einem alten Wohnwagen im Wald. Und erwartet selbst ein Kind.

Hier, nah am Golf von Mexiko, beginnt der Roman. Feuchte Hitze, Magnolien und Eichen, "rauchgrünes" Moos und Nebel über einem Fluss, der "das perfekte Bild eines Südstaaten-Flusses" ist, festgehalten "in jedem Erdkundebuch": Joy Williams ist eine Meisterin der Vergegenwärtigung von Orten und Räumen. Und sie findet immer wieder dichte Bilder und Szenen für das, was sie erzählen will.

Der aus einem Krankenhausspind heraushängende Schnürsenkel eines Stiefels ist so ein Bild, die Anrufsendung im Radio, die Kate gerne hört, steht für solche knappen, ausdrucksstarken Szenen. Wenige Dialogsätze, und man ist mittendrin in einem leicht paranoiden amerikanischen Alltag, wenn eine Frau "mit erstickter Stimme" vom Moderator wissen will: "Können Sie mir vielleicht sagen, warum die Füllung in meiner Zitronen-Baisertorte nicht stockt?"

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"In der Gnade" von Joy Williams

Lesen ohne Identifikation

Es ist die sinnliche Präsenz und die mal kaum merkliche, mal mit harten Schnitten arbeitende Verschiebung der Tonlage von Satz zu Satz, die "In der Gnade" so außergewöhnlich machen. In dieser Lektüre kann man sich nicht einrichten, auch die zwei der drei Abschnitte des Romans, in denen Kate die Ich-Erzählerin ist, liest man nicht im Modus der Identifikation.

Im Gegenteil: Identifikationsangebote werden immer wieder aufgebohrt und porös gemacht. Das unterscheidet dieses 1973 erschienene Debüt auch von vielen Gegenwartsromanen, die – nicht nur als Autofiktion – Leserinnen und Leser schlüssig in eine Perspektive hineinnehmen, um so Wirklichkeit zu erschließen. Joy Williams dagegen umkreist eher die Frage, was das eigentlich ist: das Wirkliche.

Wie von Missbrauch erzählen?

An anderer Stelle wird auf andere Weise der Abstand des Buches zur Gegenwart deutlich: Von emotionalem und sexuellem Missbrauch würde man heute wohl nicht mehr schreiben, wie Williams das tut. Kates Vater reist ihr nach in den Süden, um sie zurückzuholen. Beide gehen in ein Hotel, was dort geschieht, wird angedeutet, auch verrätselt.

Man kann das psychologisch deuten, als eine Art Verschleierung oder Abspaltung eines Traumas, der Schluss des Romans würde diese Abspaltung dann in ein verstörendes Friedensbild kippen lassen. Oder man liest es als literarischen Widerstand, als Umkreisung von Schmerz, Gewalt und Verlorenheit, die in anderen Bildern des Textes so greifbar werden. So oder so: "In der Gnade" bleibt ein erstaunliches Debüt. Und ein großer, intensiver Roman.

"In der Gnade" von Joy Williams ist in der Übersetzung von Julia Wolf bei dtv erschienen und kostet 24 Euro.

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