Auch Stefanie Sargnagel wird älter. Die 34-jährige Kurzprosa-Autorin aus Wien hat vor zehn Jahren ihr erstes, in den Feuilletons umjubeltes Buch veröffentlicht, "Binge Living. Callcenter-Monologe". 2017 erschien "Statusmeldungen". Ihre erfrischenden, witzigen Kurz-Texte spiegelten die Welt der sogenannten Digital Natives wider. Letztes Jahr bekam die damals 36-jährige Künstlerin das Angebot, an einer kleinen Elite-Uni in den Staaten Creative Writing zu unterrichten.
Ein Frauenduo unterwegs
Die einstige Boheme-Autorin, mittlerweile Besitzerin einer Eigentumswohnung, "zu meinem eigenen Feindbild aufgestiegen", wie sie schreibt, "ein Klassenfeind", nahm das Angebot an. Mit ihrer Freundin Christiane Rösinger, Songschreiberin aus Berlin, 30 Jahre älter als Sargnagel, als Große-Schwester-Ersatz begab sie sich tief in die US-amerikanische Provinz. Ein besonderes Frauenduo. "Seit ich es als Künstlerin mit kurzen Texten im Internet zu Bekanntheit gebracht habe, konnte ich einige meiner Vorbilder persönlich kennenlernen. Viele Enttäuschungen", schreibt Sargnagel. Christiane Rösinger aber habe sie nie enttäuscht, sondern alle Erwartungen übertroffen.
Nach eigenem Bekenntnis bewunderte sie die Musikerin schon als Teenager "in den späten Neunzigern", als es noch kein Internet gab und man vorm Radio saß und darauf hoffte, einen Lieblingstitel zu hören. Und nun also sollen die beiden Frauen ihre Kunst "ein paar DeutschstudentInnen an einem privaten, linksliberalen Elitecollege" vorführen. Es geht aufs flache Land, nach Grinnell im Bundesstaat Iowa. Und Sargnagel beginnt gleich zu notieren, was ihnen begegnet: "Draußen zieht Iowa an uns vorbei. In der der Dunkelheit erkennt man nicht viel, rote Windräderlichter blinken am Horizont und scheinen auf und ab zu hüpfen. Alles ist still, es ist, als flögen wir durch ein Vakuum."
Die Simpsons – wieder sowas Österreichisches?
Entstanden sind Aufzeichnungen aus Dive Bars, also Absturzkneipen, aus Thrift Stores, Second-Hand-Läden und dem lockeren Universitätsbetrieb in den Staaten. Lakonisch hangelt sich Sargnagel durch zwischen Alltags-Feminismus und schlechten Körpergefühlen, fühlt sich an Popkultur-Produkte wie die TV-Serie Simpsons erinnert. Oder ruft sie selbst auf – das erste Mal schon zwischen Check-in und Abflug in München: "Die Euphorie kickt ein, ich strecke die Fäuste in die Luft und rufe wieder 'USA, USA, USA!'. Das ist ein Homer-Simpson-Zitat, Christiane erkennt es nicht. Sie denkt wahrscheinlich, das ist wieder was Österreichisches."
Im Mittleren Westen dann versumpft sie immer wieder mal in Beiseln und Kneipen mit ortsansässigen Underdogs. Sargnagels Buch ist ein Streifzug durch das ländliche Amerika, den "vollklimatisierten Albtraum", wie Henry Miller einmal schrieb. In den Etablissements, die sie aufsucht, muss vor der Bestellung die Scheckkarte an der Bar abgegeben werden. Ein sarkastischer, schonungsloser Trip, der einem die heutigen USA und das Kernland des Westens, seine Werte und Gefährdungen nahe bringt. Unterm Strich kommt raus: So übel ist es gar nicht in den Staaten.
Sargnagel-Weihnachten
Bei den Sargnagel-Fans trifft auch dieses Buch den Nerv: Erschienen ist es pünktlich kurz vor Weihnachten, an Heiligabend waren auf X, ehemals Twitter, Postings von und mit glücklichen Beschenkten zu sehen. Darunter das einer ganzen 5-köpfigen Familie, die sich das Buch unabgesprochen fünf Mal geschenkt hatte. Sargnagel repostete mit dem Kürzestkommentar: "Meine Sekte".
Reise statt Nudeltopf
Vielleicht ist Stefanie Sargnagel also auch mit diesem Buch bereits auf Bestseller-Kurs, es könnte sich also auch in dieser Hinsicht gelohnt haben, dass sie sich zu ihrer Reise nach Iowa aufgerafft hat. Denn aufraffen musste sie sich, wie sie im Buch schreibt: "Je stärker mein Schriftstellerinnendasein durch Touren und Lesungen geprägt ist, desto mehr sinkt im Privaten die Lust auf Ortswechsel. Ein warmes Nest, alte FreundInnen, regelmäßiges Krafttraining an der Langhantel, am Abend ein Nudeltopf und kuscheln, keine neuen Leute kennenlernen. Das sind mittlerweile die Eckpfeiler meines Lebens." Und was sagt Christiane Rösinger dazu, die Reisebegleitung? "'Ist der Freund erst auf dem Sofa, hilft kein Auto und kein Mofa'". Sie kann Ironie und Selbstironie, die Stefanie Sargnagel. Und Menschenfreundlichkeit irgendwie auch.
"Iowa" von Stefanie Sargnagel ist im Rowohlt Verlag erschienen und kostet 22 Euro.
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