Eine derartige Angebotslage hat es bei einem Auktionsjahresabschluss in München noch nie gegeben. Im Auktionshaus Ketterer in München-Riem hängt an den Wänden Max Beckmanns "Drahtseilbahn in Baden-Baden", geschätzt auf 700.000 bis 900.000 Euro, außerdem ein großes Nagelfeld von Günther Uecker mit dem Titel "Wind" für denselben Schätzpreis. Zimmermannsnägel, die sich wie ein Getreidefeld im Wind zu wiegen scheinen. Den Vogel schießt aber Wassily Kandinskys Stadtporträt von Murnau ab. 1908 gemalt, also aus der besten Zeit, vier Jahre vor dem Almanach "Der Blaue Reiter". Ein Bild für ein Museum, geschätzt auf bis zu zweieinhalb Millionen Euro.
Wenn Brexit und Pandemie sich auszahlen
Früher wäre so ein Meisterwerk in New York oder London angeboten worden, jetzt in München. Robert Ketterer profitiert von dem sich ändernden Kunstmarkt: "Was sich verändert hat, ist einmal natürlich der Brexit", sagt der Geschäftsführer des traditionsreichen Münchner Auktionshauses Ketterer Kunst im BR-Interview. Der Brexit habe London als Auktionsstandort stark geschwächt, so Ketterer. "Und das andere ist die Pandemie, die Sammler weltweit gelehrt hat, online zu sehen und zu suchen." Solche potenziellen Käufer könne man deshalb heute sehr viel einfacher ansprechen, "egal, wo sie auf der Welt sitzen."
Worauf Ketterer anspielt: Da Großbritannien nicht mehr in der Europäischen Union ist, ist die Einlieferung von Kunstgütern zum Beispiel aus Deutschland mit Einfuhrzöllen belegt, der Verkauf mit Ausfuhrzöllen. Ein kostenpflichtiges und langwieriges Verfahren. Der deutsche Kunsthandel zieht daraus Nutzen, viele Werke werden aus Italien, Österreich, der Schweiz und Frankreich eingeliefert.
Umgang mit Raubkunst? Besser als bei Museen
Vorbildlich verhalten sich die Münchner Auktionshäuser in Sachen NS-Raubkunst, durchaus im Unterschied zu manchem bayerischen Museum: Beim Auktionshaus Neumeister wurde ein Frauenakt von Lovis Corinth als ehemaliger Besitz von Oskar Skaller entlarvt. Der Schätzpreis beläuft sich auf 150.000 bis 200.000 Euro. Der Erlös der Auktion wird zwischen den heutigen Besitzern und den Rechtsnachfolgern von Oskar Skaller geteilt. Eine "faire und gerechte Lösung nach den "Washingtoner Prinzipien" wird angestrebt, wie bei den ebenfalls bis 200.000 Euro geschätzten "Blumen in einer Vase", wieder ein Corinth, beim Auktionshaus Karl & Faber, das gerade einhundert Jahre alt geworden ist. Bei Ketterer stammen Emil Noldes "Palmen" aus der ehemaligen Sammlung von Ismar Littmann. Hier müssen 600.000 bis 800.000 Euro geteilt werden.
- Zum Artikel: Willi Korte zu 25 Jahren "Washingtoner Prinzipien"
Die Suche nach dem richtigen Schätzpreis
Für Robert Ketterer kommt es nicht in erster Linie darauf an, Käufer zu finden. Wichtiger ist, in den Monaten zuvor ein exzellentes Angebot für die Auktion anzuwerben. "Das war schon immer das große Thema", sagt er. "Ich habe auch niemals meinen Vater sagen gehört: Dieses Mal war es einfach." Aber der Konkurrenzdruck sei sehr groß, es gebe einige Anbieter, die schöne Objekte auf den Auktionen haben wollten. Die große Kunst ist es für Ketterer dabei, die Objekte zu finden, "die wirklich von der Qualität her musealen Charakter haben" – und sie dann auch zu guten Preisen zu bekommen. Nur so könne man Ansatzpreise in der Auktion anbieten, "die so spannend sind, dass man gerne zur Auktion hingeht, dass man glaubt, etwas sehr, sehr Gutes zu einem möglicherweise etwas kleineren Preis kaufen zu können. Ich glaube, das ist die Idee. Und wenn die Preise zu hoch angesetzt werden, dann ist die Gefahr groß, dass man daran vorbeigeht."
Nicola Gräfin Keglevich führt bei Ketterer solche Gespräche mit Einlieferern. Oft sind es Erben, die die Kunstsammlung der Vorfahren zu Geld machen wollen oder müssen. Wie laufen solche Verhandlungen? Das komme immer darauf an, woher das Werk kommt, sagt Keglevich, ob jemand etwas gekauft oder geerbt habe zum Beispiel. "Wir holen unsere Kunden aber immer gut ab mit ihrer eigenen Erwartungshaltung und führen sie auch hin zu Vergleichen auf dem Kunstmarkt, was eben der richtige Schätzpreis ist." Was nicht immer eine Ernüchterung sein oder auf eine niedrige Schätzung hinauslaufen müsse, auch der umgekehrte Fall sei nicht selten, erklärt die Expertin.
Wer kann noch kaufen?
Noch nie waren so viele Auktionsangebote im sechs- oder gar siebenstelligen Bereich anzutreffen wie jetzt. Andererseits tritt der gehobene Mittelstand aufgrund der allgemeinen Lage weniger häufig als Käufer in Erscheinung. Der Kunsthandel entspricht so erstmals ganz dem Klischee: Er ist etwas für die Reichen. Robert Ketterer hält fest, zwar sei der weltweite Markt etwas zurückgegangen, was auch damit zusammenhänge, dass die großen Sammlungen in den Auktionen gefehlt hätten. Vor einem Jahr habe man die noch gehabt. Aber: "Was auf den Markt kommt, läuft sehr, sehr gut. Ich glaube, dass insgesamt etwas weniger Sammler auf die Auktionen kommen werden. Es wird etwas wählerischer gekauft werden, aber ich denke, Qualität setzt sich immer durch."
Die Termine des Münchner Auktionsmarathons: 7. Dezember Auktionshaus Neumeister, 7. und 8. Dezember Karl & Faber, 8. und 9. Dezember Ketterer Kunst.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!