"Auch heute noch, vor dem Hintergrund der ersten Äußerungen von Donald Trump als neuer amerikanischer Präsident, denken Kartoffeln nicht daran, billiger zu werden, sondern steigen sogar weiter im Preis", klagt der russische Blogger Dmitri Sewrjukow (53.000 Fans) in seinem Telegram-Kanal und verweist damit auf die zerstobene Hoffnung mancher Propagandisten, der neue US-Präsident werde einen Waffenstillstand im Rekordtempo durchsetzen. Stattdessen behauptete Trump in einem Post auf "Truth Social", Russlands Wirtschaft sei am "zusammenbrechen". Wenn Putin nicht endlich nachgebe und den "lächerlichen Krieg" beende, werde er auf die "harte Tour" reagieren und jedweden Handel mit weiteren Zöllen und Sanktionen unterbinden.
"Konstruktive Verhandlungen auf höchster Ebene könnten den negativen Kartoffelpreistrend umkehren, aber vorerst bleiben die Kartoffeln in ihren dunklen Lagern eindeutig skeptisch, was die weltpolitischen Aussichten betrifft, und deshalb müssen wir solche Preise für die Kartoffeln bezahlen und obendrein in Kauf nehmen, dass sie für die Ernährung der Russen immer wichtiger werden", bedauerte Sewrjukow. Nach Angaben der russischen Statistikbehörde sind Kartoffeln ungefähr doppelt so teuer wie vor einem Jahr.
"Jeder sieht, was los ist"
Der einstige Redenschreiber von Putin und bestens vernetzte Kreml-Experte Abbas Galljamow (100.000 Follower), der ins Exil gegangen ist, hält die Lage für beunruhigend: "Intern bereitet sich der Kreml natürlich darauf vor, einzulenken. Die Ereignisse vom letzten Herbst haben deutlich gezeigt, dass ein vollständiger Sieg [für Russland] einem Spaziergang zum Mond gleicht. Die Anwesenheit ukrainischer Streitkräfte in der russischen Region Kursk, die der Kreml immer noch nicht beenden kann, Probleme in der Wirtschaft, von denen es bereits so viele gibt, dass fast alle Beamten öffentlich darüber sprechen: Jeder sieht, was los ist, und jeder versteht, dass die Ressourcen knapp werden – sie müssen sich also mit weniger zufrieden geben."
"Wir leben in interessanten Zeiten"
Das russische Marktforschungsinstitut ROMIR beziffert die Inflation aktuell auf 24 bis 25 Prozent, deutlich höher als die offizielle russische Statistik. Durchschnittsrussen müssten ein Drittel ihres Budgets für Lebensmittel aufwenden.
Gesellschaftspolitisch ist das hochbrisant, argumentiert einer der wichtigsten russischen Netzkommentatoren mit 150.000 Fans: "Unternehmen im Land stagnieren oder gehen bankrott, die Preise steigen exorbitant, die Regale in den Geschäften sind leer, es gibt keine Arbeit, es gibt kein Geld. Auf die eine oder andere Weise wird der Krieg enden und Hunderttausende Menschen werden auf die ganze Welt wütend, geistig deformiert sein und haben gut gelernt, kaltblütig zu töten. Diese Menschen werden in ein Land zurückkehren, in dem Stagflation herrscht. Wir leben in interessanten Zeiten!"
Putins absurde Argumentation, die Russen würden zu viel konsumieren, weil es ihnen finanziell so gut gehe, stößt auf offenen Widerspruch: "Die Ursache der Inflation ist nicht ein Anstieg der Nachfrage, sondern ein Rückgang von Produktion und Angebot, einschließlich der Einfuhren, was durch die gestiegenen Zinsen und fehlende Investitionen verursacht wird. Es ist notwendig, das Angebot zu erhöhen und nicht die Nachfrage künstlich zu begrenzen und die vermeintlich überhitzte Wirtschaft 'abzukühlen'."
Lieber "hundert Freunde beim Staatsanwalt"
Während rechtsnationale Propagandisten wie Igor Skurlatov lauthals über "Finanzsabotage als größte Bedrohung für die Regierung" und auf die vermeintlich eigennützigen Chinesen schimpfen, befürchten Kremlkritiker, dass Putin wegen der desolaten Lage nicht nur die Statistik fälschen lässt, sondern auch daran denkt, die Wirtschaft noch stärker auszuplündern. Der als "ausländischer Agent" gebrandmarkte Ökonom Igor Lipsitz schrieb ironisch, es sei für Manager derzeit besser, "hundert Freunde bei der Staatsanwaltschaft" zu haben als ein paar hunderttausend Rubel auf dem Konto: "Dann sind sie nämlich im Normalfall reicher."
Der Westen werde Russland wie im Kalten Krieg finanziell ausbluten, so das Fazit eines russischen Beobachters mit 100.000 Fans: "Dabei handelt es sich um zahlreiche nicht-militärische Maßnahmen, die zur Schwächung der russischen Wirtschaft führen, die sich bereits in einer systemischen und umfassenden Wirtschaftskrise befindet. Der Verteidigungssektor macht 20 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, während in NATO-Ländern schon Zielvorgaben von zwei bis drei Prozent wirtschaftliche Probleme verursachen."
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