Der russische Präsident schreibt etwas auf ein Blatt
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Muss rechnen: Wladimir Putin

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"Kühlschrank schlägt Fernseher": Wann geht Putin das Geld aus?

"Kühlschrank schlägt Fernseher": Wann geht Putin das Geld aus?

Internationale und russische Beobachter fragen sich zunehmend, ob sich der Kreml den teuren Krieg noch lange leisten kann. Die Meinungen gehen sehr auseinander. Nationalisten fordern den Rücktritt der Zentralbankpräsidentin und wittern "Sabotage".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

💡 Peter Jungblut beobachtet für BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-Kanäle und Social Media, und wertet die Einschätzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russischsprachigen Welt über die Ereignisse diskutieren.

"Kühlschrank schlägt Fernseher", brachte der russische Exil-Politologe Abbas Galljamow die aktuelle wirtschaftliche Lage Russlands auf den Punkt. Damit spielt er darauf an, dass manche Lebensmittel für russische Verbraucher angesichts der Inflation zunehmend unerschwinglich werden, etwa Butter.

Für das nächste Jahr haben russische Verbandsvertreter bereits weitere Preissteigerungen von rund 20 Prozent angekündigt. Gleichzeitig hämmert die TV-Propaganda den Zuschauern ein, die russische Wirtschaft stehe glänzend da. Galljamow vermutet mit seinem Bonmot, dass sich viele Konsumenten vom "Fernseher" nicht mehr beeindrucken lassen, weil die kriegsbedingte Inflation in den Kühlschränken unübersehbar sei.

"Sabotage, sie kennt nichts anderes!"

Putin selbst sprach von "Problemen und Ungleichgewichten" in der Wirtschaft: "Sie sind in erster Linie auf die schwierigen Rahmenbedingungen zurückzuführen, unter denen wir das industrielle, landwirtschaftliche und finanzielle Potenzial des Landes verbessern. Das sind einerseits die Sanktionen, andererseits strukturelle Einschränkungen im eigenen Land, einschließlich Personal-, Technologie- und Logistikmängel. Diese Faktoren spiegeln sich auch in der Dynamik der Verbraucherpreise wider."

Angesichts stetig steigender Zinsen und der Geldentwertung fordern Rechtsextreme wie Sergei Mironow wutentbrannt den Rücktritt von Zentralbankpräsidentin Elwira Nabiullina, deren Geldpolitik "barbarisch" sei: "Sabotage, sie kennt nichts anderes!"

"Industrielle Entwicklung praktisch unmöglich"

Russlands Kriegswirtschaft wird aus dem Staatshaushalt finanziert, die Geldmenge wächst deutlich stärker als das Warenangebot. In diesem Punkt sind sich (fast) alle einig. Die Frage ist, wie lange Putin das Geld reicht. Kolumnist Peter Doran rechnete für das US-Portal "Politico" aus, dass Russland nächstes Jahr umgerechnet 145 Milliarden US-Dollar für den Krieg ausgeben will - ein Drittel des Staatshaushalts - und damit abermals tiefrote Zahlen schreibe, wobei der Kreml wegen der Sanktionen kaum Möglichkeiten habe, sich im Ausland Geld zu beschaffen. Der "Nationale Wohlfahrtsfonds" des Landes, eine Art eiserne Reserve, sei bereits von 117 auf 55 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Wenn dieser Topf leer sei, habe Putin nur noch unpopuläre Möglichkeiten: "Zu diesen Optionen gehören höhere Steuern für die russische Elite und die Mittelschicht, höhere Kreditaufnahmen, das Drucken wertloser Rubel und möglicherweise Kürzungen der Sozialleistungen."

Auch Expertin Agathe Damarais vom Fachblatt "Foreign Policy" glaubt, dass Russland schon bald an finanzielle Grenzen stößt und sich den Krieg nicht mehr lange leisten kann. Dabei verweist sie auf eine Äußerung des Chefs des staatseigenen russischen Technologie- und Rüstungskonzerns Rostec, Sergei Tschemesow, wonach der hohe Leitzins jegliche industrielle Entwicklung "praktisch unmöglich" mache, weil er die Gewinne aufzehre, weswegen das Geld für Investitionen fehle.

Die nationalistische russische Kolumnistin Elena Panina nimmt den Artikel zum Anlass, ebenfalls auf Nabiullina zu schimpfen: "Wenn unsere Zentralbank bereits im dritten Jahr genau das macht, worauf unsere Feinde nur warten, sind dann vielleicht Korrekturen in der Politik der Zentralbank überfällig?"

"Zusammenbruch der Wirtschaft und Haushaltskrise"

Panina hofft auf die russischen Goldreserven und tröstet sich mit einer grotesken Argumentation: "Wir sollten daran erinnern, dass russische Granaten aufgrund effizienterer Produktionsketten und weniger Korruption als bei den Vertragspartnern des Pentagons 75 Prozent weniger kosten als diejenigen, die die Nato produziert. Somit ist die Frage, wer bei wessen Trauermarsch dabei sein wird, viel schwerer zu beantworten." Die grassierende Korruption in Russland übersieht Panina dabei geflissentlich: "Beim Überlebenskampf ist Geld zweitrangig."

Der auch in westlichen Medien publizierende kremlkritische Ökonom Igor Lipsitz ist überzeugt, dass Putin schon bald der Staatsbankrott droht: "Die weitere Zinserhöhungspolitik droht im nächsten Jahr mit einem Zusammenbruch der Wirtschaft und einer Haushaltskrise zu enden, da die Zinsaufwendungen auch für das Finanzministerium steigen werden, das nicht über genügend Geld für den Krieg verfügt." Der "Inflationskessel" werde explodieren: "Das Regime steht vor der Alternative: 'Wenn du nach rechts gehst, verlierst du dein Pferd, wenn du nach links gehst, verlierst du dich selbst.'" Die Zentralbank sei inzwischen nicht mehr Herr der Lage.

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