Die 80er-Jahre, sie waren schon immer das Höher-Schneller-Weiter-Jahrzehnt, in dem alles zu viel war: zu viel Körperfixierung, zu viel Neon, zu viel Dauerwelle und Vokuhila. Dieser Fiebertraum aus grellen Geschmacksentgleisungen liefert die visuelle Basis für "Love Lies Bleeding" – ein hochexplosives Fantasy-Crime-Drama, in dem Kleinstadtgangster die Wall-Street-Parole "Gier ist gut" verinnerlicht haben.
Schweißtreibende Hillbilly-Elegie
Die Handlung beginnt 1989 in einer heruntergekommenen Lagerhallen-Muckibude in einem Wüstenkaff irgendwo in New Mexico. Mehr Muskeln, mehr Möglichkeiten scheint das Credo der Gewichte pumpenden Hillbillies und der sich auf Hometrainern abstrampelnden Hausfrauen zu sein. Allesamt jagen sie dem Ideal einer optimierten Existenz hinterher und bewegen sich doch nur auf der Stelle.
Denn Zukunftsperspektiven gibt es hier nicht, den Mut wegzuziehen haben die wenigsten. Das gilt auch für Ladenmanagerin Lou. Mit unnachahmlich genervt-gelangweiltem Blick gespielt von Kristen Stewart, wischt sie Tag für Tag Schweiß und Träume auf. Jegliche Eigenambitionen hat sie schon lange in die Tonne getreten. Bis sie sich Hals über Kopf in Jackie verliebt, eine Laien-Bodybuilderin auf der Durchreise zu einem Wettbewerb in Vegas.
Der amerikanische Albtraum
"Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt" steht auf einem der Schilder zwischen den Fitnessgeräten. Scheinbar leeres Motivationsblabla, das für das junge Liebespaar jedoch zum Überlebensmotto wird. Denn "Love Lies Bleeding" beginnt zwar als queere Romanze, deutet aber schon früh an, dass der amerikanische Albtraum das eigentlich handlungsbestimmende Thema ist. Sprich: Drogenmissbrauch, toxische Männlichkeit, Gewalt und Gegengewalt.
Herausragend böse und ein Anwärter für die Hall of Fame der schlechtfrisiertesten und unheimlichsten Gegenspieler ist dabei Ed Harris. Er spielt den lokalen Gangsterboss und Lous diabolischen Übervater, der Lou, Jackie und eigentlich jedem, der ihm in die Quere kommt, das Leben zur Hölle macht.
Bodyhorror à la Cronenberg
In ihrem erst zweiten Spielfilm inszeniert die britische Regisseurin Rose Glass die Eskalationsstufen in atemberaubendem Tempo und unvorhersehbar drastischen Bildern. Subtil ist hier rein gar nichts. Sie dekonstruiert veraltete Western-Mythologie mit der Brechstange. Entzaubert Superhelden, wenn die mit Steroiden aufgepumpte Jackie zum unkontrolliert-aggressiven Hulk mutiert und "Love Lies Bleeding" Bodyhorror-Ebenen betritt, auf die selbst Altmeister David Cronenberg stolz wäre.
Kultfilm mit Sprengkraft
Ihre Kernbotschaft platziert sie quasi mit einer Bazooka auf der Leinwand: Die Sprengkraft queerer Geschichten liegt schon lange nicht mehr in der Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe. Denn die ist das Normalste in diesem absurd brutalen Anti-Liebesfilm, der nicht nur Genres und Sehgewohnheiten sprengt, sondern – im wahrsten Sinne des Wortes – auch Köpfe. Die gemeinte Szene ist nur eine von vielen, die in die Kategorie Geschmackssache fallen – und sie ist nur eine von vielen, die "Love Lies Bleeding" im Handumdrehen das Prädikat Kultfilm verleihen.
"Love Lies Bleeding" in der kinokino-Kurzkritik:
"Love Lies Bleeding" von Rose Glass startet am 18. Juli in den deutschen Kinos.
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