Die iranischen Schauspieler Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi in einer Szene der Tragikomödie "Ein kleines Stück vom Kuchen"
Bildrechte: Hamid Janipour / Alamode Film
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Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi spielen in "Ein kleines Stück vom Kuchen" eins der schönsten Liebespaare des Jahres

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Doppelt tragisch: "Ein kleines Stück vom Kuchen"

Doppelt tragisch: "Ein kleines Stück vom Kuchen"

Die iranische Tragikomödie "Ein kleines Stück vom Kuchen" war der Liebling der diesjährigen Berlinale. Dem Regieduo droht jedoch ein Gerichtsverfahren. Denn die im Film geübte Islamkritik ist dem Mullah-Regime ein Dorn im Auge.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Im Seniorenalter als Single noch einmal Geborgenheit und Liebe zu finden, ist kein leichtes Unterfangen. Abhängig davon, wo man lebt, tendenziell gar ein Ding der Unmöglichkeit. Mahin ist 70 und wohnt in Teheran. Seit 30 Jahren ist sie Witwe, die Kinder und Enkelkinder haben das Land schon lange verlassen. Letztes verbliebenes Alltags-Highlight sind die seltenen Kaffeekränzchen mit Freundinnen, erfüllt von Gekicher und Gesprächen über Darmspiegelungen, Inkontinenz und – na klar – Männer. "Ein Mann ist zu nichts zu gebrauchen", räsoniert bei so einem Treffen eine der resoluten Damen. "Er sitzt nur da und kommandiert einen herum. Und wir putzen und kochen die ganze Zeit."

Subtile Kritik trifft Situationskomik

Die Tragikomödie "Ein kleines Stück vom Kuchen" steckt voller tiefer Wahrheiten über ein Land, in dem Frauen Menschen zweiter Klasse sind: bestimmt zu einem Dasein als Hausfrau und Mutter, strengen Verhaltens- und Kleidungsregeln unterworfen, in der Öffentlichkeit stets beobachtet von der Sittenpolizei. Durch geschickt gestreute Situationskomik werden die bedrückenden Momente jedoch von Anbeginn konterkariert und es entfaltet sich eine oft hinreißende Atmosphäre.

Das perfekte erste Date

Mühelos erobert Hauptdarstellerin Lily Farhadpour die Herzen des Publikums, wenn die aus dem restriktiven Dämmerschlaf erwachende Mahin beschließt, einen Mann in ihr Leben zu holen, der so liberal denkt wie sie. Unbeholfen, aber unbeirrt geht sie auf die Pirsch: in der Bäckerei, im Hotel, im Park. Schließlich lernt sie einen geschiedenen Taxifahrer kennen, lädt ihn zu sich nach Hause ein. Sie haben das perfekte erste Date, reden bis tief in die Nacht hinein, lachen, tanzen, trinken verbotenen Alkohol.

Es ist herrlich, diesen beiden aus der Übung geratenen Turteltauben dabei zuzusehen, wie sie sich umgarnen und das Glück umarmen, das ihnen viel zu lange verwehrt wurde. Weil "Ein kleines Stück vom Kuchen" jedoch eine Tragikomödie ist und kein Märchen, ist der trauten Zweisamkeit kein Happy End beschieden. Die Stippvisite einer regierungstreuen Nachbarin, die sich über eine ihr unbekannte Männerstimme wundert, ist dabei nur das kleinere Übel.

Filmgewordener Protestslogan

Die allgemeine Bedrohungslage, die in solchen Momenten steckt, schlummert nicht nur in den Dialogen. Auch visuell ist das sittenstrenge iranische Mullah-Regime omnipräsent – manchmal durch konkrete Personen, häufiger durch einen dominanten Grünton, die Farbe des Islam. Er verleiht dem Besuch der Nachbarin eine kafkaeske Horrornote, leuchtet wie ein allmächtiges Warnzeichen im Hintergrund, wenn Mahin auf Partnersuche durch eine menschenleere Hotellobby streift.

In gewisser Weise transportiert diese subtile und doch eindeutige Kritik an dem religiösen Regime im Iran den Protestslogan, der seit dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini durch das Land schallt: Frau, Leben, Freiheit. Es ist die bittere Komponente in diesem mutigen und unbedingt sehenswerten Film, der bei der diesjährigen Berlinale für viel Gesprächsstoff gesorgt hat: Weil dem iranischen Regieduo die Pässe abgenommen wurden und ein Gerichtsverfahren in ihrem Heimatland droht und weil "Ein kleines Stück vom Kuchen" vollkommen zurecht mit dem Preis der ökumenischen Jury und der internationalen Kritik ausgezeichnet wurde.

"Ein kleines Stück vom Kuchen" von Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam startet am 11. Juli in den deutschen Kinos.

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