Man sieht einen Mann mit erhobenen Händen sowie  seiner kleinen Tochter vor einem Grenzbeamten niederknien.
Bildrechte: Agata Kubis / Piffl Medien

Szene aus "Green Border"

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Mehr Menschlichkeit im Kino – das Fluchtdrama "Green Border"

Agnieszka Holland hat in strengen Schwarz-Weiß-Bildern einen Spielfilm über Geflüchtete an der belarussisch-polnischen Grenze inszeniert – und bekam dafür in Venedig den Spezialpreis der Jury. Jetzt kommt "Green Border" in die Kinos.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Internationale Festivals seien wichtig für Filme – als Plattform, als Marketing-Instrument, sagt Agnieszka Holland, aber dieser Film – "Green Border" – brauche eine besondere Form von Aufmerksamkeit und auch eine Art von Schutz. Als die polnische Regisseurin sich im September auf dem Lido von Venedig zu "Green Border" äußerte, wusste noch niemand, wie die Parlamentswahlen in Polen rund vier Wochen später ausgehen würden. Sie gingen dann anders aus, als viele befürchtet hatten: Die rechtsnationale PiS wurde zwar stärkste Kraft, aber die Bürgerkoalition und ihre Partner errangen zusammen eine Mehrheit und wurden schließlich mit der Regierungsbildung beauftragt.

Umkämpfter Kinostart in Polen

Noch vor der Wahl hatte "Green Border" am 22. September seinen Kinostart in Polen. Agnieszka Holland wurde bedroht und angefeindet – der damals noch amtierende Justizminister Ziobro verglich den Film mit "Nazipropaganda". PiS-Chef Jarosław Kaczyński bezeichnete "Green Border" als "schändlich, abstoßend, ekelerregend". Wer den Film nicht verurteile, stehe "klar auf einer extrem antipolnischen Seite."

Bis zur Wahl war nicht klar: Würde "Green Border" der PiS vielleicht sogar helfen, weil er als Projektionsfläche für antimigrantische Ängste dienen könnte – Ängste, die in den vergangenen Jahren die ehemalige Regierungspartei systematisch schürte? Oder würde er ihr schaden, weil er zeigt, wie sich die PiS einen Dreck um die Flüchtlinge kümmerte und sie mehr oder weniger dem Tod im Niemandsland aussetzte.

Ein Spielfilm mit vier ineinander verzahnten Episoden

"Green Border" erzählt von dem Flüchtlingsdrama an der Grenze zwischen Belarus und Polen in vier miteinander verzahnten Episoden. Das unfassbare Leid von Menschen wird deutlich, die im Niemandsland brutal hin- und hergekarrt, teilweise auch geschlagen, misshandelt und ohne medizinische Hilfe oder Lebensmittel mitten im Wald sich selbst überlassen werden. Sie gehen in einem gewaltvollen Karussell von ständigen Pushbacks zugrunde.

Der Film zeigt, wie das ganze 2021 begann: Belarus vergab gegen Geld Visa für Menschen, die Krieg & Not entkommen wollten. Mit Flugzeugen wurden Syrer, Afghanen, Pakistani und Flüchtende aus anderen Krisengebieten nach Minsk geflogen. Von dort fuhr man sie an die Grenze nach Polen. Die ersten Ankömmlinge, die weiter wollten in unterschiedliche europäische Länder, schafften den Übertritt noch relativ problemlos. Doch dann wurde die Grenze auf polnischer Seite dicht und zu einer geheimen Sperrzone gemacht.

Auch Journalisten oder Hilfsorganisationen durften sie nicht mehr betreten. Entgegen der eigenen Verfassung tat die polnische Regierung nichts, um die Situation zu lösen, sagt Agnieszka Holland im Interview. Die polnische Regisseurin lässt keinen Zweifel daran, auf welcher Seite sie steht. Sie deutet in ihrem beeindruckenden Film an, dass die PiS ehedem durchaus mit dem stillschweigenden Einverständnis der EU agierte. Dass man sich mit der wohl beabsichtigten Destabilisierung der europäischen Grenzen durch Lukaschenko und Putin nicht weiter beschäftigen wollte.

Nah an den Menschen

"Green Border" ist ein kämpferischer Film, in seiner Darstellung von Not und Leid bisweilen sehr deutlich, aber trotzdem weit entfernt von Agitprop. Die Situation an der Grenze schildert Agnieszka Holland komplex aus vier Perspektiven: von Polen, die nahe der Grenze wohnen; von Grenzschutzbeamten; von Helfern, die für Menschenrechtsorganisationen arbeiten; und ganz wesentlich von Flüchtlingen, die – so sagt es Holland – nicht nur stereotyp als Opfer gezeigt werden. Ihr war es wichtig, uns die Augen zu öffnen und darauf hinzuweisen, dass wir alle Menschen sind.

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