Eva Umlauf ist eine der jüngsten Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. "Ich bin vielleicht nicht so eine Zeitzeugin, die bewusste Erinnerungen hat, aber eine Zeitenzeugin. Ich habe zuerst die braune Diktatur überlebt, dann die rote. Und dann kam ich zurück ins Land der Täter", so die 81-Jährige. "Das ist eine andere Biografie, eine andere Zeitzeugenschaft. Trotzdem kann ich sagen, dass die Monate in Auschwitz mein ganzes Leben beeinflusst haben."
Eva Umlauf spricht tatsächlich von einer "Idylle im Schatten des Todes". Dabei ist die Zweijährige bei der Befreiung von Auschwitz im Januar 1945 so abgemagert und schwer krank, dass sie mit ihrer Mutter sogar länger im KZ bleiben muss - im April kommt im Lager noch ihre Schwester Nora zur Welt. Danach kehren die drei als einzige Überlebende ihrer jüdischen Familie in ihre slowakische Heimat zurück. Eva Umlauf geht dort in einer Kleinstadt zur Schule, studiert Medizin in Bratislava. Über Auschwitz wird nie gesprochen. Doch das Leiden der Mutter an ihrer inneren Zerstörung durch das KZ überträgt sich als "Gefühls-Erbschaft" auf die Tochter.
Als Kind dachte sie, dass jeder eine Nummer auf dem Arm hat
"Wir haben immer gewusst, dass wir es hinter uns haben", erzählt Umlauf. "Meine Mutter und ich, wir haben die Nummer auf dem Arm. Ich meine, das ist auch etwas, was man jeden Tag sieht und das hat auch nicht jeder. Ich als Kleinkind habe ich mir gedacht, jeder Mensch hat eine Nummer. Und dann habe ich verstanden, dass es nicht so ist."
"Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau, wie deine Augen" heißt auch Eva Umlaufs Autobiografie, geschrieben im Land der Täter. Als das Buch 2016 erscheint, hat sie in München längst ihre eigene Familie, Kinder, Enkelkinder. Um das Vermächtnis ihrer toten Verwandten weiterzugeben, recherchiert Eva Umlauf, unter welchen Umständen diese ermordet wurden. Und erfährt dabei auch, dass ihr Vater auf einen der Todesmärsche geschickt wurde – und dann an einer Blutvergiftung starb. Erschütternde Erkenntnisse, die ihr aber auch helfen, ihr transgenerationales Trauma zu verarbeiten:
"Das heißt, dieses traumatische Geschehen in sich integrieren und es akzeptieren, damit man nicht depressiv wird, damit man damit leben kann", sagt Umlauf. "Ungeschehen kann man Auschwitz nicht machen. Aber es so verarbeiten, dass man mit diesem Trauma leben kann als gesunder Mensch. Auschwitz ist ein Teil von mir."
Was folgt daraus? Auf jeden Fall: Verantwortung
Aber was bedeutet das für ihre drei Söhne und ihre Enkelkinder? "Ich bin ganz sicher, dass man das Erbe weitergibt", antwortet Umlauf. "Meine Enkelin weiß, dass ihre Oma Auschwitz überlebt hat, aber weiß, weil sie mein Buch gelesen hat, wie man an die Sache geht, dass sie nicht davon krank wird."
Es bedeutet auch: Verantwortung. Alles für das "Nie wieder", tun, die Erinnerung an die Shoah lebendig halten. Am 27. Januar 2011 hält Eva Umlauf zum Jahrestag der Befreiung ihre erste Rede in Auschwitz. Als eine der jüngsten Überlebenden spricht sie vor Opfern, die wie ihre Mutter bewusste Erinnerungen an die KZ-Vergangenheit haben:
"Die können wirklich einen tatsächlichen Bericht abgeben, was sie erlebt haben", sagt Umlauf. "Bei mir ist es etwas anderes. Ich bin geboren in einem KZ, ich habe Auschwitz überlebt - unbewusst, aber überlebt. Und ich nehme mich als eine Brücke, ich bin so ein Bindeglied zwischen der ersten und der zweiten Generation."
"Und dann die jungen Leute, die einem zuhören"
Auch am Ende der BR-Lebenslinien-Dokumentation ist Eva Umlauf in Auschwitz zu sehen, als Rednerin, bewegt und mit Tränen in den Augen. Und dann voller Energie einherschreitend, beim gemeinsamen Gedenk-Marsch der Lebenden und Überlebenden.
"Gott sei Dank haben wir diesen Wechsel von Gefühlen. Da ist die Erinnerung, die Traurigkeit, was war. Und dann die jungen Leute, die einem zuhören, dass man, auch wenn man ein Trauma hat, weiterleben kann und muss. Man sieht in dem Film auch, wie die jungen Menschen begeistert sind, wie sie kommen und sich bedanken. Das war für mich eine große Freude!" Eva Umlauf
Die Doku "Ich habe Auschwitz überlebt" steht in der ARD-Mediathek, Regie: Christiane Streckfuß. Das BR-Fernsehen strahlt den Film am 29. Januar um 22 Uhr aus. Eva Umlaufs Autobiografie "Die Nummer auf deinem Unterarm ist so blau wie deine Augen" ist bei Hoffmann und Campe erschienen.
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