Am 10. Februar beginnt in China das Jahr des Drachens, was traditionell ausgiebig gefeiert wird: In den nächsten zwei Wochen sind Banken und Unternehmen daher schwer bis gar nicht zu erreichen, der Außenhandel steht still. Für Russland ist das kein Grund zur Entspannung, ganz im Gegenteil. Unmittelbar vor den Neujahrsferien teilte die Zhejiang Chouzhou Commercial Bank ihren russischen Kunden mit, von ihnen ab sofort weder Rubel-, noch Yuan-Überweisungen anzunehmen, was den Warenverkehr von China nach Russland erheblich erschwert, ja teilweise unmöglich macht. Der russische Politologe Ilja Graschtschenkow, und bei weitem nicht nur er, schimpfte bereits über ein "Messer im Rücken". China sei für Moskau ganz offensichtlich ein "noch schwierigerer Partner als die EU".
"China ist nicht der nette Panda"
"China ist überhaupt nicht unser Freund, bestenfalls ein vorübergehender Reisebegleiter. Listig und gierig, für Europäer schwer zu verstehen, und wir sind Europäer", so der Präsident des Zentrums für regionale Entwicklung. "Es reicht nicht, China zu verstehen, man muss auch akzeptieren, das es anders ist als wir, nicht dieser Fantasy-Märchenfreund, der nette Panda, sondern ein berechnender politischer Konkurrent." Graschtschenkow forderte angesichts Chinas Verhalten von Putin dringend eine "Normalisierung der Beziehungen zum Westen": "Wir müssen uns klüger verhalten, die Wirtschaft kühler betrachten, den Grundsatz des fairen Geschäfts einhalten und sollten uns nicht das Hemd vom Leib reißen und ewige Freundschaft schwören. Dann nämlich verhalten sich die Banken wie vorhersehbar."
Hintergrund ist wohl die zunehmende Angst chinesischer Banken vor US-Sanktionen. Washington hatte deutlich gemacht, dass es insbesondere gegen Lieferungen an die russische Rüstungsbranche künftig härter vorgehen will. Entsprechend beunruhigt sind russische Importeure, und auch der Kreml scheint alarmiert.
"Sprechen wir darüber nach den Feiertagen"
Sprecher Dmitri Peskow verwies pflichtschuldig auf einen "engen Dialog" zwischen Moskau und Peking, natürlich würden "alle auftretenden Probleme" gelöst. Putins Experte für internationale Angelegenheiten, Juri Uschakow, sagte nach einem Telefonat zwischen dem russischen und dem chinesischen Präsidenten, die "Fragen der finanziellen Zusammenarbeit" seien angesprochen worden. Putin und Xi Jinping hätten sich vorgenommen, "eine Finanzstruktur aufzubauen, die zuverlässige Zahlungen gewährleiste". Demnach hat das Thema für Putin oberste Priorität, was auch kein Wunder ist: Russlands Hightech-Branche ist dringend auf Importe aus China und dem Westen angewiesen, um die Kriegswirtschaft am Laufen zu halten.
In Moskau geht die Angst um, dass es zu einem Einbruch der Importe kommt, zumal Chinas Neujahrsfest das Krisenmanagement erheblich erschwert und auch türkische Banken deutlich vorsichtiger geworden sind. Im liberalen Wirtschaftsblatt "Kommersant" seufzte Unternehmerin Elena Glebowa, sie könne derzeit nicht mal die Spediteure bezahlen, geschweige denn die Waren. Viele russische Unternehmen hätten mit Überweisungen an die Zhejiang Chouzhou Commercial Bank das internationale SWIFT-Zahlungssystem umgangen, das für Russland sanktioniert ist. Auf Druck der USA sei die Bank of China wohl dagegen eingeschritten. Von chinesischen Geschäftspartnern habe es geheißen: "Sprechen wir darüber nach den Feiertagen." Doch kaum ein russischer Importeur glaube daran, dass Chinas Banken "zufällig" vor einer längeren Auszeit die Beziehungen gekappt hätten.
"'Ewige Freundschaft' den Plakaten überlassen"
Der im Exil lebende Blogger Anatoli Nesmijan (111.000 Fans) schimpfte schadenfroh, das russische Außenministerium sehe inzwischen "erbärmlich" aus und sei nur noch ein Anhängsel der Sicherheitsdienste. Mit Blick auf Chinas Verhalten schreibt Nesmijan: "Es ist interessant, welche Art unserer Partner bereit sind, das Risiko einzugehen, unter Sanktionen zu fallen. Sie lassen sich an einer Hand abzählen: Iran, Nordkorea, die [jemenitischen] Huthi, das venezolanische Drogenkartell. Ob sie über Kampfflugzeugtechnologie der fünften Generation verfügen, ist in diesem Zusammenhang eine überflüssige Frage."
Sarkastisch verwies der Blogger darauf, dass chinesische Autoteile bereits vor der neuesten Entwicklung auf dem Finanzmarkt eine Lieferzeit von sechs Monaten gehabt hätten: "Ein mit uns befreundetes China wird genau solange freundlich bleiben, bis es damit Verluste einfährt. Es gibt keine ideologische Grundlage für die russisch-chinesischen Beziehungen. Und das kann auch gar nicht anders sein, seien wir ehrlich. Alle Beziehungen sind ausschließlich auf gegenseitigen Vorteilen aufgebaut. Darüber hinaus ist China in diesem Tandem das wichtigere Land, da Russland es viel mehr braucht als umgekehrt. 'Ewige Freundschaft' ist eine Parole, die sie den Plakaten überlassen sollten."
Digitale Währung orientiert an "Gold oder Getreide"
In der regierungsnahen "Iswestija" hoffte Anatoli Aksakow, der Vorsitzende des Finanzmarkt-Ausschusses im russischen Parlament, darauf, dass Moskau "digitale Finanzmittel" mobilisieren könne, um die Krise zu überwinden: "Ja, es ist möglich, dass bei einigen chinesischen Banken, die einen großen Anteil am Zahlungsverkehr mit den Vereinigten Staaten haben, für uns Schwierigkeiten auftreten", räumte der Politiker ein. Doch letztlich "ziehe die Karawane weiter", auch wenn die "Hunde bellten". Aksakow stellte ein Gesetz in Aussicht, mit dem Russland sein neu zu schaffendes "digitales Vermögen" an Gold oder Getreide binde. Dafür seien allerdings noch "aufwändige und langwierige Tests" erforderlich. Andere russische Fachleute zeigten sich skeptisch, zumal alles von der "Willenskraft der chinesischen Kollegen" abhänge.
Wie groß die Nervosität in Moskau ist, beweisen Schlagzeilen wie: "Ist vom chinesischen Neujahrsfest unser Zusammenbruch zu erwarten?" Die Antwort, die Vitali Mankewitsch vom Verband der russisch-asiatischen Unternehmer gab, fiel zweideutig aus. Zwar werde der chinesische Zoll seine Arbeit für "mindestens zehn Tage" einstellen und die Importe "praktisch auf Null" runtergefahren, doch gelte der Grundsatz: "Wenn einer der Importeure seine Transaktionen vorher nicht abgeschlossen und die Fracht nicht versandt hat, ist er selbst schuld." Alles sei "schwieriger geworden", aber nicht unmöglich. Gleichwohl war von einem "negativen Signal" die Rede.
"China spielt mit Russland Katz und Maus"
Russlands stellvertretender Außenminister Andrej Rudenko zeigte "Verständnis, dass einige Handelspartner in der VR China vorsichtig" seien und versuchten, sich "vor der Sanktionskeule zu schützen". So diplomatisch gaben sich die russischen Ultrapatrioten nicht: "Drei Dinge kann man endlos betrachten: wie das Feuer brennt, wie das Wasser fließt und wie China seinen 'Verbündeten' Russland offen bespuckt." Leser ätzten: "Die Türken bauen in der Ukraine eine Fabrik zur Produktion von Drohnen, die Chinesen drücken uns den Sauerstoff ab, die Inder wenden sich ab, die Belarussen und die Nordkoreaner bleiben, zumindest vorerst." Andere fragten sich mit Blick auf Putin ironisch, "was sich der Rentner eigentlich für geostrategische Siege" erhofft habe.
"Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um einen Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen", warnte ein weiterer Kommentator: "Für diejenigen, die glauben, dass es in China doch viele andere Banken gebe, werde ich gleich hinzufügen, dass sie alle die Politik der Zentralbank unterstützen werden." Es war der Spott zu lesen, Moskau sei doch auch "mit Laos" befreundet und suche Partner in Afrika. Auch das pazifische Nauru käme eventuell in Frage. Russlands internationaler Zahlungsverkehr könne außerdem immer noch mit "vollgestopften Metallkoffern per Flugzeug" in bar abgewickelt werden, wie in den wilden neunziger Jahren. "China braucht ein schwaches Russland, um alles aus ihm herauszupressen und es mit Konsumgütern zu bombardieren, die niemand braucht. Genau aus diesem Grund spielt China mit Russland Katz und Maus."
"Gehe mit dem Kerl in die Berge"
Russland wisse "jetzt über China alles, was wichtig" sei, schrieb ein Leser der "Business Gazeta" spöttisch. Ein anderer meinte, jetzt sei für Putin wohl tatsächlich "Silvester". Und ein Schlagerfan erinnerte an das berühmte "Lied über einen Freund" des sowjetischen Superstars Wladimir Wyssozki (1938 - 1980): "Wenn sich plötzlich herausstellt, dass dein Freund weder Freund noch Feind ist, wenn Du nicht sofort erkennen kannst, ob er gut oder schlecht ist, gehe mit dem Kerl in die Berge – gehe ein Risiko ein! Lasse ihn nicht allein. Lasse ihn in deiner Nähe – dann wirst du verstehen, wer er ist."
Den Patrioten, die behaupteten, in der Sowjetunion sei noch alles autark hergestellt worden, hielten Kritiker entgegen, das Land sei "nie souverän" gewesen, habe Autolizenzen aus Italien, Flugzeug-Blaupausen von Boeing und Motorräder mit BMW-Technik produziert: "Fast alle Haushaltsgeräte waren westliche Kopien." Putins Wirtschaftskurs führe in die Isolation und die Niederlage: "Niemand auf der Welt versucht, alles selbst zu machen; diese feudale Herangehensweise an die Wirtschaft gehört der Vergangenheit an. Es ist notwendig, die Anstrengungen nicht dort zu verstärken, wo man schwach ist, sondern dort, wo man stark ist, um etwas besser zu machen als alle anderen und nicht irgendwie mittelmäßig."
"Shanghai und Hanoi sind uns fremd"
Ein kremltreuer Kanal mit 300.000 Abonnenten erklärte sich den Aufruhr mit einer "Lust an schlechten Nachrichten", also einem gewissen Masochismus der Russen. Tatsächlich werde alles "nur etwas teurer", weil die bisherigen Geschäfte mit der Zhejiang Chouzhou Commercial Bank "am Rande der Legalität zu relativ niedrigen Preisen" jetzt eingestellt seien. Eine "totale Finanzblockade", die offenbar manch einer fürchte, sei aber jenseits jeder Realität.
So gelassen will sich Politologe Alexander Naumow nicht geben: "Kein 'Russland-Afrika'-Gipfel, keine Beschwörungen der 'Weltmehrheit', keine brüderlichen und engen Beziehungen zu China und dem Iran können eine einfache Wahrheit vergessen machen: Russland ist ein europäisches Land, und die russische Gesellschaft ist größtenteils völlig europäisiert. Wir sind Teil der europäischen Zivilisation, genau wie die Amerikaner, und sogar mehr als sie. Paris, Rom, Venedig, New York sind uns alle nah und vertraut, Teheran, Peking, Shanghai und Hanoi sind uns fremd. Caravaggio und Picasso gehören zu uns, [der chinesische Maler] Gu Kaizhi ist uns fremd."
Daran könnten auch die vielen TV-Berichte zum chinesischen Neujahr nichts ändern, so der Blogger: "Ebenso werden sich Städtetouren ins sonnige Isfahan mit der Erwärmung der Beziehungen [zur EU] und der Rückkehr von Reisen ins Schengen-Gebiet sofort in Trips in das gewohnte Paris verwandeln."
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!