"Warum sind manche Menschen dazu in der Lage, die Geschichte zum Besseren oder zum Schlechteren zu verändern?", fragt sich der Historiker Rutger Bregman. Und so lernen wir Thomas Clarkson kennen. Der kämpfte im späten 18. Jahrhundert erfolgreich gegen den Sklavenhandel. Oder Joey Savoie. Der hat in London vor einigen Jahren eine Schule gegründet für "wohltätiges Unternehmertum".
Sie und einige weitere beschreibt Bregman in seinem Buch "Moralische Ambition" überzeugend, zugewandt und engagiert. Aber: Er hat meist nur den einzelnen Helden im Blick, selten die Ursachen für aktuelle und gewesene Missstände. Und kein Kapitel kommt ohne Appelle an die Lesenden aus, nach dem Motto: Werdet aktiv, setzt eure moralischen Ambitionen um! Besonders im Blick hat Bregman den gut ausgebildeten Nachwuchs: "Die großen Beratungsfirmen sind voll von Top-Talenten, die nicht wissen, wohin sie mit ihren Fähigkeiten sollen, also sind sie einfach Consultant geworden."
Motivation für unreflektierte High-Potentials
Ja, diese unreflektierten High Potentials kommen nicht besonders gut weg bei Bregman. Die allzu Reflektierten auf der anderen Seite aber auch nicht: "So viele Progressive und Linke fokussieren sich darauf, wie sich Dinge anfühlen", sagt Bregman im Gespräch mit dem BR. "Sie überlegen, wie man die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt am besten beschreibt, anstatt zu handeln und die Welt zu einem besseren Ort zu machen."
So gesehen war die Zeit also längst reif für Rutger Bregman und sein neues Buch. Doch: Je länger man es liest, desto mehr fühlt man sich wie auf einer dieser TED-Talk-Vorträge, bei denen in knappen Präsentationen mal eben Lösungen für die ganz großen Probleme der Welt präsentiert werden: "Und bitte schön: Hier ist der Schlüssel zur moralischen Ambition."
Wenigstens verzichtet Bregman auf das Dummdeutsch der Ratgeberbranche, auf Floskeln wie die "Komfortzone" etwa. Wobei, über eine von ihm sehr geschätzte Hilfsorganisation schreibt er: "Sie ist das Real Madrid der Philanthropie."
Ein engagierter Appell – auf dünnen Beinen
"Moralische Ambition" ist ein sehr engagierter Appell für im Grunde gute Ziele. Allerdings steht dieser Appell auf dünnen Beinen – unterfüttert nur von Anekdoten und einzelnen Statistiken. Das ist eindrucksvoll und liefert einige neue Erkenntnisse. Aber profund und analytisch ist es nicht. Dafür gibt es Handlungsanweisungen en gros: "Dieses Buch wurde für Sie geschrieben und für niemand anderen. Benutzen Sie es nicht, um irgendwem Vorwürfe zu machen, sondern um sich selbst in Bewegung zu setzen."
Wo alle Selbstzweifel fehlen, da wirkt auch ein gut gemeintes Projekt plötzlich zweifelhaft. Und im Gespräch zeigt sich denn auch: Zweifel kennt Bregman durchaus. "Ehrlich gesagt, würde ich mich gar nicht als optimistisch beschreiben. Ich habe verdammt viel Angst, zum Beispiel vor dem, was gerade in den USA passiert. Aber ich habe aus der Geschichte gelernt: Die Dinge können auch anders sein. Unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft müssen nicht so strukturiert sein, wie sie es im Moment sind. Und das gibt mir Hoffnung."
Am Ende bleibt: Zumindest Rutger Bregman hat sich in Bewegung gesetzt – und vielleicht gelingt es ihm in seiner ganz eigenen Art doch, noch einige andere mitzunehmen.
Rutger Brechmans Buch "Moralische Ambition" hat Ulrich Faure aus dem Niederländischen übersetzt. Es ist im Rowohlt Verlag erschienen und kostet 26 Euro.
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