Eine Hand spießt mit einem zweizackigen Spieß Schinken auf, der in einer Fleischtheke liegt.
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Beliebt bei Anhängern der karnivoren Diät: die Fleischtheke.

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Wer nur tierische Lebensmittel isst, dem fehlen Nährstoffe

Wer nur tierische Lebensmittel isst, dem fehlen Nährstoffe

Anhänger der "karnivoren Ernährung" essen ausschließlich tierische Lebensmittel wie Fleisch, Fisch oder Joghurt. Sie behaupten, damit können sie alle wichtigen Nährstoffe abdecken. Das ist falsch. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Darum geht’s:

  • Menschen brauchen eine Reihe von Nährstoffen für eine gesunde Ernährung. Anhänger der "karnivoren Ernährung" behaupten: Diese Nährstoffe ließen sich ausschließlich mit tierischen Produkten wie Eiern, Käse oder Fleisch decken.
  • Das ist falsch. In einer karnivoren Ernährung fehlen Ballaststoffe und bestimmte Mineralstoffe. Genügend Vitamine gibt es nur in tierischer Leber - diese sollte man wegen Giftstoffen aber nicht zu häufig essen.
  • Aus der Ernährung resultierende Nährstoffmängel können das Risiko für Skorbut, Diabetes oder Herzschwäche erhöhen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und andere Experten raten von einer karnivoren Ernährung ab.

Hühnerbrust und ein Glas Milch zum Frühstück, Rinderleber mit Spiegelei zum Mittagessen, Schweinesteak mit Fetakäse zum Abendessen. So könnte ein Speiseplan für Anhänger der "karnivoren Ernährung" aussehen. Sie behaupten: Für eine gesunde Ernährung braucht der Mensch nichts anderes als tierische Lebensmittel.

Karnivor bedeutet "fleischessend". In einer radikalen Form essen Anhänger der karnivoren Ernährung tatsächlich nur Fleisch, also auch keine Milchprodukte und keine Eier. Der Trend hat in den USA seinen Ursprung. Doch inzwischen berichten auch deutsche Internetnutzer über die angeblichen gesundheitlichen Vorteile einer karnivoren Ernährung, teils mit beachtlicher Reichweite.

Ein Nutzer auf YouTube schreibt: "Es deckt ohne Ausnahme alle Nährstoffbedürfnisse des menschlichen Körpers." Doch das ist falsch. Die Experten, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, sagen übereinstimmend: Wer sich nur von tierischen Lebensmitteln ernährt, dem fehlen wichtige Nährstoffe. Diese sind entweder gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße in tierischen Lebensmitteln enthalten.

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Ein YouTube-Nutzer behauptet, dass eine karnivore Ernährung alle Nährstoffbedürfnisse des menschlichen Körpers decke. Das ist falsch.

Der menschliche Körper braucht für eine ausgewogene Ernährung eine ganze Reihe von Nährstoffen. Dabei wird grob unterschieden zwischen Makronährstoffen: das sind Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette. Und Mikronährstoffen: also beispielsweise Vitaminen, Mineralstoffen wie Kalium oder Spurenelementen wie Eisen. Hinzu kommen Ballaststoffe.

Stefan Kabisch, Ernährungsmediziner an der Berliner Charité-Klinik, sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: "Eine Ernährung, die komplett auf tierischen Lebensmitteln aufbaut, ist nicht bedarfsdeckend, die ist nicht gesund."

In tierischen Lebensmitteln fehlen Ballaststoffe

Ballaststoffe kommen quasi nicht in tierischen Lebensmitteln vor. Kabisch sagt: "Ballaststoffe ernähren unser Darmmikrobiom, sie regulieren die Verdauungstätigkeit und führen dazu, dass der Speisebrei nicht Ewigkeiten im Darm verweilt." Zusätzlich seien Ballaststoffe entzündungshemmend und verbesserten die Wirkung von Insulin im Körper – womit sie womöglich das Diabetesrisiko verringerten.

Fast alle Ballaststoffe kommen in natürlicher Form nur in Pflanzen vor, zum Beispiel in Nüssen, Kichererbsen oder Vollkorngetreide. Es gebe lediglich einen Ballaststoff, der auch in tierischen Lebensmitteln vorkomme, so Kabisch: Chitin. Er sagt: "Wenn man Krebstiere oder andere Meerestierchen verzehrt, die diese Chitinpanzer haben oder wenn man Insekten isst, dann kommt man an Chitin ran." Doch die Mengen wären zu gering, selbst wenn man sehr viele Krebse und Insekten essen würde. Und andere Ballaststoffe würden dann fehlen. "Wenn wir uns ausgewogen und vielseitig ernähren, dann gibt es da 15, 20 verschiedene Typen von Ballaststoffen", so Kabisch. Daher sei der Mensch auf Pflanzen für die Aufnahme von Ballaststoffen angewiesen.

Zu wenige Vitamine und Mineralstoffe bei karnivorer Ernährung

Auch die Vitamine B1, C und E seien in zu geringen Mengen in tierischen Lebensmitteln vorhanden, so Kabisch. Er sagt: "Wenn sie einen Mangel an Vitamin C und Vitamin E haben, dann haben sie zum Beispiel ein Problem mit der Abwehr von Sauerstoffradikalen im Körper. Das führt zum Beispiel zu einer Schwächung des Immunsystems." Sauerstoffradikale entstehen als Nebenprodukt, wenn der menschliche Körper Fette und Kohlenhydrate verbrennt.

Ein Vitamin-C-Mangel könne außerdem die Krankheit Skorbut auslösen: "Das führt irgendwann dazu, dass ihnen die Zähne ausfallen und dass sie Blutgerinnungsstörungen bekommen."

Vitamin B1 wiederum sei für die Regulation des Stoffwechsels zuständig. Ein Mangel führe dazu, dass die Verwertung von Nährstoffen im Körper nicht mehr gut funktioniere. "Sie kriegen dann neurologische Ausfälle, eine Herzschwäche kann sich entwickeln, Hautprobleme treten auf", sagt Kabisch.

Täglich Leber wäre für Vitaminbedarf notwendig

Lediglich ein tierisches Lebensmittel enthalte viele Vitamine: Leber. Man müsste also täglich Leber essen, um trotz einer rein tierischen Ernährung seinen Vitaminbedarf zu decken. "Damit nimmt man aber letztlich auch alle Giftstoffe auf, die in so einer Leber gespeichert sind", sagt Kabisch.

Andrea Jaworek ist Leiterin des Ernährungsteams des Klinikums rechts der Isar. Sie sagt: "Die Leber ist Hauptstoffwechselorgan und Entgiftungsorgan". Daher könne sie Schwermetalle und viele andere für den Menschen giftige Stoffe enthalten. "Aus diesem Grund ist ein gelegentlicher Verzehr, maximal alle zwei bis drei Wochen, zu empfehlen", so Jaworek.

Vitamine in Fleisch gehen beim Kochen verloren

Laut Stefan Kabisch komme hinzu: Oftmals gehen die Vitamine in tierischen Lebensmitteln bei der Zubereitung verloren, da sie in der Regel erhitzt werden muss, bevor sie gegessen werden kann. "Das ist gerade bei Vitamin B1 und bei Vitamin C der Fall, die sind hitzelabil", so Kabisch.

Neben Vitaminen fehlen bei einer karnivoren Ernährung wichtige Mineralstoffe, so die Ernährungswissenschaftlerin Silke Restemeyer, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), im #Faktenfuchs-Interview: "Magnesium und Kalium sind in höheren Mengen in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten." Sie erfüllen wichtige Funktionen im Körper, Kalium ist zum Beispiel an der Regulierung des Blutdrucks beteiligt.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat Referenzwerte für eine Reihe von Nährstoffen definiert. Das sind empfohlene Nährstoffmengen, die Menschen zu sich nehmen sollten. Die Referenzwerte sollen "die lebenswichtigen metabolischen, physischen und psychischen Funktionen sicherstellen und vor ernährungsbedingten Gesundheitsschäden schützen." Aus der Sicht der DGE sei eine karnivore Ernährung nicht empfehlenswert, so Silke Restemeyer.

Tendenziell zu viele gesättigte Fettsäuren in tierischen Produkten

Von einer Nährstoffgruppe würde man nur mit Fleisch, Milch und Co. wiederum schnell zu viel bekommen: Von den gesättigten Fettsäuren. Fette in tierischen Lebensmitteln sind nämlich größtenteils gesättigte Fettsäuren. Kabisch sagt: "Diese gesättigten Fette wirken tendenziell entzündungsfördernd und schwächen die Wirkung des Hormons Insulin und begünstigen damit Diabetes. Einfach weil das Insulin es nicht mehr schafft, seine ursprüngliche Wirkung auszuüben."

Laut Silke Restemeyer von der DGE können gesättigte Fettsäuren zu Fettstoffwechselstörungen oder zu Herz-Kreislauferkrankungen führen, wenn man zu viel von ihnen aufnimmt. Restemeyer sagt dazu aber: "Beim Fleisch kommt es immer darauf an, was für ein Stück man wählt". So enthält beispielsweise Hähnchenbrust sehr wenig Fett. Menschen, die sich karnivor ernähren, essen aber auch Fisch. Der meiste Fisch enthält insgesamt wenige gesättigte und viele ungesättigte Fettsäuren.

Experten raten: Nicht auf Kohlenhydrate verzichten

Und wie sieht es mit den Kohlenhydraten aus? Stefan Kabisch sagt: "Sie haben in tierischen Produkten praktisch keine Kohlenhydrate." Allerdings könnten Menschen auch komplett ohne Kohlenhydrate überleben. "Wir würden das viele Jahre überleben, das geht", so Kabisch.

Eine Ernährung, die wenige bis keine Kohlenhydrate enthält, nennt man ketogene Diät oder Low-Carb-Diät. Studien zeigen beispielsweise, dass eine solche Ernährung den Cholesterinspiegel im Blut stark ansteigen lässt.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät von einer ketogenen Ernährung aufgrund der Gesundheitsrisiken wie Gicht oder Nierensteinen ab. Dazu komme: "Wer lange nach der ketogenen Diät lebt, riskiert, dass die Muskeln schwinden", so Silke Restemeyer.

Quasi keine Studien über die "karnivore Ernährung"

Im Gegensatz zu einer karnivoren Ernährung sind in einer ketogenen Ernährung Pflanzen nicht verboten. Nüsse, Avocados, Salat oder pflanzliche Öle darf man dabei essen – Hauptsache, es kommen nicht zu viele Kohlenhydrate zusammen. Die ketogene Diät ähnelt dennoch der karnivoren Ernährung. Stefan Kabisch sagt: "Wer sich low-carb ernährt, verzehrt meistens mehr tierische Produkte als vorher. Das ist noch keine karnivore Diät, aber geht in die Richtung." Walter Willett, Ernährungswissenschaftler an der Harvard-Universität in den Vereinigten Staaten, schreibt aber auf #Faktenfuchs-Anfrage per Mail: "Es gibt keine Langzeitstudien zu einer rein karnivoren Diät."

Unter Anhängern der Ernährungsweise fand eine Studie von Ende 2021 Beachtung. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft sorgte sie für viel Kritik. "Zurecht", wie Stefan Kabisch, der Studienarzt von der Charité, findet. Für die Studie befragten US-amerikanische Ernährungsforscher mehr als 2.000 Erwachsene, die von sich sagten, dass sie sich nach den Regeln der karnivoren Diät ernähren. Die Befragten berichteten durchweg von positiven Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit. Doch die Studie wies entscheidende Schwächen auf, so Kabisch: "Untersucht wurden nur Menschen, die sich nach eigener, nicht überprüfbarer Angabe mindestens sechs Monate karnivor ernährt haben. Blutwerte, Ernährungsdaten und Körpermaße wurden nicht in der Studie gemessen, sondern von den Umfrageteilnehmern als Selbstauskunft übermittelt."

Fazit

Einige wichtige Nährstoffe sind nicht oder kaum in tierischen Lebensmitteln enthalten. Ballaststoffe fehlen darin fast komplett. Bestimmte Vitamine kommen lediglich in tierischer Leber ausreichend vor. Leber enthält jedoch gesundheitsschädliche Giftstoffe, weshalb man sie nicht zu häufig essen sollte.

Nährstoffmängel - aufgrund einer rein karnivoren Ernährung - könnten zu Skorbut, Diabetes und anderen Krankheiten führen. Allerdings gibt es keine Langzeitstudien zu den gesundheitlichen Auswirkungen einer rein auf tierischen Lebensmitteln beruhenden Ernährung. Experten und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung raten von einer karnivoren Ernährung ab.

Quellen

AOK: Was bringt der komplette Verzicht auf Kohlenhydrate?

AOK: Was sind eigentlich Ballaststoffe?

Belinda S Lennerz, Jacob T Mey, Owen H Henn, David S Ludwig (2021): Behavioral Characteristics and Self-Reported Health Status among 2029 Adults Consuming a "Carnivore Diet".

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Ausgewählte Fragen und Antworten zu Ballaststoffen

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Ausgewählte Fragen und Antworten zu den Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr allgemein

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Ausgewählte Fragen und Antworten zu Fettleitlinie

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Referenzwerte

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Sekundäre Pflanzenstoffe und ihre Wirkungen auf die Gesundheit

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Welche Lebensmittel sind natürlicherweise reich an Ballaststoffen?

Houttu V, Grefhorst A, Cohn DM, Levels JHM, Roeters van Lennep J, Stroes ESG, Groen AK, Tromp TR (2023): Severe Dyslipidemia Mimicking Familial Hypercholesterolemia Induced by High-Fat, Low-Carbohydrate Diets: A Critical Review.

Kirwan R, Mallett GS, Ellis L, Flanagan A (2022): Limitations of Self-reported Health Status and Metabolic Markers among Adults Consuming a "Carnivore Diet".

Rewe: Hähnchenbrust - das beliebteste Stück vom Huhn

Stiftung Gesundheitswissen: Welche Nährstoffe braucht der Körper?

Universität Bern: Neuer Abwehrmechanismus gegen Sauerstoffradikale entdeckt

Verbraucherzentrale: Vitamine und Mineralstoffe von A-Z

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