Jeder Versuch eines Liedes, das dieses Thema umschiffe, sei der Band falsch und belanglos vorgekommen. Wie auch das vielsagende Schweigen der meisten anderen Musiker. So, schreibt die Antilopen Gang, sei der neue Song "Oktober in Europa" die für sie einzig logische Konsequenz gewesen. Sechs Monate nach dem Terrorangriff der Hamas sei der Song wie von selbst, "aus einer Notwendigkeit heraus" entstanden.
Er thematisiert die aus Sicht der Band judenfeindlichen Stimmung in Europa. Im Detail geht es aber vor allem um den Antisemitismus der Linken. So heißt es zum Beispiel: "Ist auch kompliziert, muss man einfach beide Seiten sehen, wenn Terroristen Frauen in Leichenhaufen vergewaltigen", oder: "Überraschung, auch Greta hasst Juden." Gemeint ist hier die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die sich im Nahost-Konflikt vermehrt auf pro-palästinensische Standpunkte konzentriert hatte. Weiter kritisiert die Band, dass viele Teile der Linken und der migrantischen Szene eher auf Seiten der Hamas stünden als aufseiten Israels. "Führe lieber keine Diskussionen auf der Party, Freunde und Freundinnen mit starken Überzeugungen, Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden", heißt es im Text.
Antilopen-Gang-Song hat politische Debatte ausgelöst
Wegen des provokanten Textes hat "Oktober in Europa" eine kontroverse Debatte ausgelöst. Entweder, so scheint es, liebt man den Song. Oder man hasst ihn. Antilopen-Unterstützer ist zum Beispiel der Grünen-Politiker Volker Beck. "Als die Luft um uns gefror. Dieses Lied spiegelt meine Stimmung ganz gut wider", schreibt er auf X. Auch FDP-Politiker Jens Teutrine outet sich auf X als Fan. Er schreibt: "Während die breite Masse aus Kultur und Kunst versagt, bringt @antilopengang den sich zuspitzenden Antisemitismus auf den Punkt. Das ist Rap!".
Kritik gibt es dagegen von Fabio De Masi, dem Spitzenkandidaten des Bündnis Sahra Wagenknecht bei der Europawahl. Er stört sich vor allem daran, dass der Song jüdisches Leid zu stark gewichte und die palästinensischen Opfer bagatellisiere. Gemeint ist dabei die Songzeile: "Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas, Schutzschild der Nachfahren der Judenvergaser." De Masi schreibt auf X: "Mutiger wäre es, einmal darüber nachzudenken, warum einige in Deutschland so erpicht darauf sind, die Taten der eigenen Großväter an die Palästinenser zu delegieren." Ebenfalls wundern sich Kritiker des Songs darüber, dass die Antilopen Gang plötzlich eine Partei an ihrer Seite hat, die sonst eher nicht als Sympathisantin von linken Rap-Gruppen gilt.
Verwunderung: Springer-Presse feiert "Oktober in Europa"
Denn vor allem von den Springer-Medien wird der neue Antilopen-Song derzeit gefeiert. "Man kann ja nur hoffen, dass sich das ganz viele sogenannte Kulturschaffende anschauen (und sich gegebenenfalls Schämen", schreibt Welt-Chefreporterin Freiheit Anna Schneider mit erhobenem Zeigefinger-Emoji ebenfalls auf X. Auch Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt findet dort lobende Worte für die Rapper. Und die BILD-Zeitung widmet "Oktober in Europa" eine umfassende Textanalyse und titelt: "Linke Band entlarvt linke Doppelmoral". Für die BILD sei "Oktober in Europa" ein wahres und wichtiges Statement gegen Antisemitismus." Wenn die BILD sich genauer mit dem Schaffen der Antilopen Gang auseinandergesetzt hätte, sie hätte bemerkt, dass die Band vor kurzem sang: "Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton." Kürzlich hatte die Zeitung noch ein Manifest zu deutschen Tugenden verfasst.
Die Geschichte der Antilopen-Gang
Die Antilopen-Gang, die aus den Rappern Koljah, Panik Panzer und Danger Dan besteht, thematisierte Antisemitismus, aus ihrer Sicht linke Doppelmoral und die Hamas auch schon in Interviews und Songtexten vor dem 7. Oktober. Von einigen wurde die Band auch deshalb dem antideutschen Spektrum zugeordnet. Die zentralen Ausprägungen dieser Bewegung sind die explizite Ablehnung des deutschen Nationalismus und die laut Verfassungsschutz "bedingungslose Solidarität mit der Politik Israels und dem jüdischen Volk." In der linken Szene ecken die Bandmitglieder deshalb schon länger an. Nach dem Chart-Erfolg seines Klavier-Albums wurde der Rapper Danger Dan in der eher linken Zeitung "der Freitag" als eine Art Staatsräson-Liedermacher kritisiert, "den alle lieben, weil er Musik für ein gutes Gewissen macht, mit Antifa-Banner als Bühnenhintergrund, was auch keinen mehr zu provozieren scheint."
Kontroverse um Song der Antilopen-Gang reicht bis ins Kanzleramt
Provoziert hat die Antilopen-Gang dagegen jetzt mit ihrer Nahost-Positionierung. Und die absurdeste Pointe im Streit um "Oktober in Europa" spielt sich derzeit wohl im Kanzleramt ab. Denn eigentlich kritisieren die Rapper im Text auch den Bundeskanzler Olaf Scholz: "Und der Kanzler hört sich so bestürzt an", rappt Koljah an einer Stelle, um dann seine Punchline zu setzen: "Danach trinkt er Tee mit den Mördern." Offen bleibt, wer damit gemeint ist. Vielleicht der Emir von Katar, der als Unterstützer der Hamas, aber auch als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern gilt? Mit diesem traf sich Scholz jedenfalls kurz nach dem 7. Oktober.
Umso überraschender, dass der Song im Kanzleramt offenbar trotzdem gefeiert wird: SPD-Politiker Wolfgang Schmidt, der Bundesminister für besonderer Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts, teilte das Video ebenfalls auf X und schreibt: "Großartiges Lied der Antilopen Gang zum 7. Oktober und der Stimmung in Deutschland." Weder Wolfgang Schmidt noch Olaf Scholz haben sich dazu bislang geäußert. Gegenüber der Berliner Zeitung ließ ein Regierungssprecher verlauten: "Wir kommentieren das nicht." Genauso wie die Band selbst, die sich vorerst entschieden hat, keine Interviews zum Song zu geben.
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