In einem an Aufregern reichen Wahlkampf war das einer der größeren. Donald Trump in Ohio vor etwa drei Wochen. Der Präsidentschaftskandidat spricht vor seinen Anhängern. Er warnt davor, dass das Land den Bach runter geht, wenn Joe Biden weiter im Amt bleiben. Dann wird er noch drastischer. Es werde ein "Blutbad" geben, sollte er nicht wiedergewählt werden, sagt Trump. Bürgerkriegsrhetorik im Wahlkampf. Die Menge johlt.
Drastische Wortwahl, kalkuliertes Missverständnis
Trumps "Blutbad-Rede" wurde seitdem viel diskutiert. An der Stelle, an der der Ausdruck fällt, spricht Trump über Importzölle, mit denen er die amerikanische Autoindustrie vor chinesischen Konkurrenzprodukten schützen will. Im Nachhinein hat er versichert, er habe damit Biden gemeint, der mit seiner Politik ein "Blutbad" anrichten werde – und nicht etwa einen möglichen Aufstand. Und trotzdem: Das kalkulierte Missverständnis passt genauso zu Trumps Rhetorik wie die drastische Wortwahl.
So sieht es jedenfalls die Historikerin und Autorin Annika Brockschmidt, die sich bereits in zwei Büchern mit der amerikanischen Rechten auseinandergesetzt hat. Trump setze seine "gewaltvolle Rhetorik" ganz bewusst ein, um seine Fans "anzuheizen", so Brockschmidt im BR-Interview. Er baue damit eine "Bedrohungslage" auf, die jede Gegenwehr in den Augen seiner Anhänger legitim erscheinen lasse.
Auch wenn Beschimpfungen und Pöbeleien bei Trump üblich sind. In den letzten Wochen und Monaten hat er nochmal deutlich an Aggressivität zugelegt. Kurz vor Ostern veröffentlichte er auf seinem Truth Social-Kanal ein Video, das einen gefesselten Joe Biden auf der Ladenfläche eines Pickups zeigt. Die Demokraten prüfen rechtliche Schritte dagegen.
Trump erklärt Gegner zu "Ungeziefer"
Auch Nazi-Vokabular findet sich inzwischen in seinen Reden. Seine Gegner erklärt er zu "Ungeziefer", Einwanderern spricht er das Menschsein ab ("no people"), sie vergifteten das "Blut des Landes". Anfangs war die Empörung darüber noch groß, mittlerweile hat Trump solche Sätze so oft wiederholt, dass sie gewissermaßen "normal" geworden sind. "So verschieben sich nicht nur die Grenzen des Sagbaren, sondern auch die Grenzen dessen, was wir von ihm gewöhnt sind", kommentiert Brockschmidt.
Das zeigt sich auch mit Blick auf den zentralen Topos der Trump-Kampagne: Im Mittelpunkt steht nämlich die Umdeutung der Ereignisse vom 6. Januar 2021. Damals schien es so, als hätte der Sturm auf das Kapitol den vermeintlich harmlosen Politikclown Trump entlarvt. Als sei nun eine Grenze überschritten. Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten lautet deswegen eine von mehreren Anklagen, die aktuell gegen ihn laufen. Und Trump? Hält weiter fest, an der Behauptung, die letzte Wahl sei ihm gestohlen worden.
Umdeutung des 6. Januar
Der 6. Januar hat inzwischen einen festen Platz im Wahlkampf. Die Kapitolstürmer erklärt er zu "Geiseln", zu "unglaublichen Patrioten". Seine Auftritte eröffnet regelmäßig der sogenannte "J6 Prison Choir" in Gedenken an diese "Helden", wie er sie nennt. Für Annika Brockschmidt ein weiterer Versuch, sich als "Kämpfer für den – in Anführungszeichen – kleinen Mann zu stilisieren". Dass er dabei aus einem der dunkelsten Tage der US-Demokratie einen Wahlkampfschlager macht, scheint ihm nicht zu schaden. Die rechtlichen Verfahren gegen ihn laufen weiter, diskursiv wirkt Trump auf unheimliche Art unangreifbar.
Das hätten auch seine politischen Gegner erkannt, meint der Politologe Christian Lammert im BR-Interview. Diese seien sich uneins, ob es besser sei, sich inhaltlich mit Trump auseinandersetzen und ihm dadurch eine Bühne zu bieten, oder ob es sinnvoller sei, ihn zu ignorieren. "Diese Verunsicherung ist in den USA auf beiden Seiten des ideologischen Spektrums extrem ausgeprägt, auch auf Seiten der Republikaner“, so Lammert. "Keiner traut sich mehr, so richtig gegen Trump und seine Kompagnons zu argumentieren, weil das eine extreme Gegenbewegung provoziert."
Trump stilisiert sich zum Messias
Unterdessen stilisiert sich Trump selbst zu einer Art Messias. Seine ersten Gehversuche in puncto KI-Bilderzeugung mündeten im Herbst in einer Darstellung, die ihn auf der Anklagebank zeigt – Seite an Seite mit Jesus. Der mutmaßliche Straftäter sieht sich als christlicher Märtyrer.
Und das ist der zweite, etwas paradoxe Trend, der sich im Wahlkampf abzeichnet. Trumps rhetorische Eskalation paart sich mit einem neuen erzreligiösen Sound. Mehr noch als in seinen vergangenen Kampagnen setze Trump diesmal darauf, das Christentum für seinen "Kampf" zu reklamieren, stellt auch die New York Times fest. Seine Auftritte endeten regelmäßig mit Gebetsviertelstunden, in denen er seine Anhänger im Stil eines Fernsehpredigers einschwöre. Trump als Anführer der "schweigenden Mehrheit", gesandt von Gott – so sehen ihn viele seiner potenziellen Wähler. Seine Verfehlungen stören dabei offenbar nicht. Trump sei der erste Politiker, der es geschafft habe, seinen Charakter von der Politik zu trennen, die er vertrete, so die New York Times. Fragen von Authentizität oder Glaubwürdigkeit sind keine, die die Messiasfigur Trump bedrohen.
Vom Blutbad-Rhetoriker zum Bibelverkäufer
Trump adressiere damit einerseits die evangelikale Stammwählerschaft der Republikaner, meint Annika Brockschmidt. Die Verbindung aus religiösem Überbau und rassistischer Rhetorik sei jedoch auch für andere konservative Wählermilieus anschlussfähig. "Kern dieses Projekts oder dieser Ideologie ist die Kombination aus einer rassifizierten Ordnung, also der Vorstellung, dass weiße, konservative Christen in der Gesellschaft das Sagen haben sollten", so Brockschmidt. "Und wir haben gesehen in den letzten Jahren, dass das [Christentum; A.d.R.] mehr und mehr zu so einer Art kulturellem Marker wird. Also dass auch Leute, die sich selbst unter Umständen gar nicht als christlich bezeichnen würden, sagen, ja, ich finde mich darin wieder."
Mitunter nimmt Trumps neuentdeckte Religiosität auch komische Züge an. Pünktlich zu Ostern bringt er eine eigene Bibel auf den Markt. Das Motto: "Make America Pray Again". Alle Menschen in den USA bräuchten eine Bibel zu Hause, erklärt er in einem kurzen Clip. Er selbst habe sogar viele, das sei nämlich sein "Lieblingsbuch". Trump hält dabei eine Lederbibel in die Kamera, hellbraun und bedruckt mit dem Relief der amerikanischen Flagge. 60 Euro kostet ein Exemplar. Seine Gegner machen sich darüber lustig. Er brauche wohl Geld für die Kautionszahlungen in seinen diversen Prozessen.
Politologe Lammert: "Angst erregende Ankündigungen"
Christian Lammert warnt jedoch davor, Trump zu unterschätzen, indem man ihn als lächerliche Figur abstempelt. Zu Beginn seiner letzten Präsidentschaft sei dieser völlig unvorbereitet ins Amt gestartet. Dieses Mal sehe das anders aus. Bereits seit letztem Sommer arbeitet die Heritage Foundation, eine rechtskonservative Denkfabrik, an "Project 2025" – einem Regierungsprogramm für Trumps zweite Amtszeit. Inklusive Namen von Personen, die in der neuen Regierung diverse Ämter bekleiden sollen. Das Ziel sei, so Lammert, "dass man vom ersten Tag an durchregieren kann". Dabei gehe es auch darum, "zentrale Mechanismen für die Kontrolle der Macht in der Exekutive [] auszuhebeln". Trump hat mehrfach betont, er werde am ersten Tag seiner neuen Amtszeit als "Diktator" regieren. "Angst erregende Ankündigungen" seien das, meint Lammert. Es bleibe abzuwarten, ob er "mit so einem Wahlkampf" erfolgreich sein könne.
Unwahrscheinlich ist das nicht. In jüngsten Umfragen, geben 48 Prozent der Republikaner an, hinter Donald Trump zu stehen. Zum Vergleich: Bei Joe Biden und den Demokraten sind es 23.
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