Der Mossad hat seine Archive geöffnet: Geheime Dokumente zur Ergreifung Adolf Eichmanns. Im staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München sind sie nun zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Avner Avraham ist ehemaliger Agent des israelischen Geheimdiensts Mossad. Er hat die Ausstellung mit kuratiert: "Eichmanns Bedeutung war immens. Er war es, der bei der Gestapo für die 'Judenfrage' verantwortlich war. Die Züge, die Zeitpläne: Das war alles seins", so Avner. Eichmann sei kein kleines Rad in der Maschine gewesen. "Er war die Maschine! Ihn zu fassen, nach Israel zu bringen und dort vor Gericht zu stellen, bedeutet nicht, nur ihn zu bestrafen. Es geht um Größeres."
So kam der Mossad auf Eichmanns Spuren
Die Ausstellung "Operation Finale" zeigt Dokumente, Karten und Videos, mit denen die Ergreifung Adolf Eichmanns minutiös rekonstruiert wird. Denn: Nach dem Krieg war es Eichmann gelungen, sich nach Argentinien abzusetzen. Nicht greifbar für die Justiz. Mitarbeiter des Mossads wollen das unbedingt ändern, sie kommen aber lange nicht weiter.
Doch dann hilft ihnen ein Zufall, wie der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Avner Avraham erzählt: "Es begann mit einer Liebesgeschichte, 1957. Ein halb christlich/halb jüdisches Mädchen aus einer deutschen Familie, die in Buenos Aires lebte, traf einen Mann namens Nicolas Eichmann, Eichmanns Sohn. Er erzählte ihr, sein Vater sei verstorben, er würde mit seinem 'Onkel' zusammenleben. Das war nicht sein 'Onkel'. Es war Eichmann unter falschem Namen: Ricardo Klement."
So haben Mossad Agenten Eichmann überführt
Der Vater des Mädchens wird skeptisch und informiert einen deutschen Staatsanwalt. Fritz Bauer. Und der den Mossad. Am 11. Mai 1960 ergreifen ihn die Agenten. Er leugnet zu sein, wer er ist. "Einer der Mossad-Agenten begann mit ganz harmlosen Fragen: 'Wie heißen Sie?‘ Und Eichmann behauptete: 'Ricardo Klement.‘ Also stellte der Agent absurde Fragen wie: 'Welche Farbe haben Ihre Augen, Ihre Haare?' Und plötzlich fragte er: 'Was ist Ihre SS-Nummer?‘ Und Eichmann sagte wie aus der Pistole geschossen die richtige Nummer. Dann gab er zu: 'Ja. Ich bin Adolf Eichmann. Und jetzt hätte ich gerne ein Glas Rotwein.'"
Doch ab dann wurde es erst richtig schwierig, denn Argentinien würde Eichmann nicht ausliefern. Um ihn heimlich außer Landes zu schaffen, entführt der Mossad ihn, sediert und als Mitarbeiter einer israelischen Airline verkleidet. Die Ausstellung in München zeigt detailliert, wie diese spektakuläre Aktion geplant werden musste. Sie gelingt: Eichmann kommt nach Israel.
Shoah-Überlebende in Israel
Dort lebte zu dem Zeitpunkt eine Frau, deren Schicksal unmittelbar mit seinem verbunden ist: Eva Erben. Wäre es nach ihm gegangen: Sie würde nicht mehr leben. Sie wird als Kind mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert, begegnet Eichmann sogar persönlich. Sie erinnert sich daran, wie sie sich in Israel die ersten Jahre nach dem Holocaust fühlte – also, als Eichmann noch auf freiem Fuß war. Die in Israel lebende Bevölkerung hatte nicht nur Mitgefühl für die Überlebenden des Holocaust: "Sie haben gesagt zum Beispiel: 'Ihr habt euch schlachten lassen. Ihr seid so gegangen wie die Schafe zur Schlachtung.' Wie geht man also? Man konnte das nicht begreifen. Über sechs Millionen: 'Warum habt ihr euch nicht gewehrt?'"
Nachdem Eichmann nach Israel gebracht werden konnte, wurde ihm der Prozess gemacht. Er wird im Rundfunk übertragen. Die Weltöffentlichkeit hört von den grausamen Einzelheiten der deutschen Vernichtungsmaschinerie.
Die Bedeutung des Eichmann-Prozesses
Die detaillierte und sehenswerte Ausstellung "Operation Finale" im staatlichen Museum ägyptischer Kunst in München zeigt auch, welche Bedeutung dieser Prozess hatte. Das Leben von Eva Erben, die auch zur Ausstellungseröffnung nach München kommt, ändert sich radikal: "Mit dem Prozess wurde alles klar. Auf einmal haben sich viele Leute bei uns entschuldigt, also wie sie uns gesehen haben. Und alles wurde… Und für uns war es eine enorme Erleichterung. Enorm."
Erben baut ein Haus in Israel, auf das ihren Kindern nie widerfahre, was ihnen widerfahren ist. "Das ist Israel. Man hat gesagt, okay, jetzt haben wir ein eigenes Land. Und dieses Land werden wir mit all unseren Kräften behüten und unsere Kinder werden keine Shoah haben. Leider ist es nicht so. Aber ich bin überzeugt, dass Israel wird sich wieder irgendwie erholen von diesen Schock."
Im Oktober schlug eine Rakete der Hamas hinter ihrem Haus in Ashkelon ein. Fünf Tage später floh sie nach Europa. Sie hatte zuvor Vanillekipferl gebacken, und sie auf dem Küchentisch stehen lassen. Sie will zurück.
"Operation Finale": Die Ausstellung ist bis 30.4. im Ägyptischen Museum zu sehen
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