Im Bezug auf die AfD wird neben einem Verbotsverfahren nun eine weitere Möglichkeit diskutiert: ein Antrag auf Entzug von Grundrechten für herausragende Verfassungsfeinde. Dazu ist inzwischen eine Petition gestartet worden, die sich namentlich gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke richtet, dessen Landesverband der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft. Die Petition appelliert an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen, FDP sowie die Oppositionsfraktionen CDU/CSU und Linke, die Bundesregierung zu einem entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht zu bewegen.
Bereits knapp 875.000 Unterschriften eingegangen
Bis Montagabend waren auf der Petitionsplattform des Kampagnen-Netzwerks Campact bereits rund 875.000 Unterschriften für den Vorstoß eingegangen, unter dem Titel "Stoppen Sie den Faschisten Björn Höcke: Veranlassen Sie, dass die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellt".
Campact teilte am Dienstag mit, dass nicht vorgesehen sei, die Unterschriften als offizielle Petition beim Petitionsausschuss des Bundestags einzureichen. "Nichtdestotrotz entfalten die auf diese Art gesammelten Stimmen immer wieder eine enorme politische Kraft", wurde erklärt.
In Thüringen steht im September eine Landtagswahl an. Höckes AfD liegt in den Umfragen mit großem Abstand vorn, derzeit bei 34 bis 36 Prozent.
Grundrechte-Entzug im Grundgesetz geregelt
Die Möglichkeit des Grundrechte-Entzugs ist im Grundgesetz geregelt: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte", heißt es in Artikel 18. Das heißt: Man kann nur diejenigen Grundrechte verlieren, die man missbraucht hat. "Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen." Dafür ist ein Antrag des Bundestags, der Bundesregierung oder einer Landesregierung nötig. Bei Gericht muss der Betroffene angehört werden.
Nach dem Verfassungsgerichtsgesetz beinhaltet solch ein Verfahren auch die Möglichkeit, jemandem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen. Dabei kann Karlsruhe auch nur einzelne Grundrechte entziehen und dies außerdem zeitlich befristen, jedoch auf mindestens ein Jahr.
Hohe Hürden in zurückliegenden Verfahren
Eine Verwirkung eines Grundrechts bedeutet grundsätzlich, dass sich jemand gegenüber dem Staat nicht mehr auf dieses Grundrecht berufen kann, etwa auf die Meinungsfreiheit. Er oder sie kann dann zwar weiterhin seine Meinungen äußern oder auch demonstrieren, ist aber weniger geschützt, wenn staatliche Stellen gegen ihn vorgehen.
Die Hürden waren in zurückliegenden Prozessen hoch, Verfahren dauerten mehrere Jahre. Da die Grundrechtsverwirkung die Demokratie vor ihren Feinden schützen soll, ist entscheidend, dass von den Betroffenen eine Gefahr für die Zukunft ausgeht. Das Verfassungsgericht verlangte bislang zudem eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie.
Vor allem deswegen sind die vier Verfahren, die es in der Vergangenheit erst gab, gescheitert. Sie richteten sich gegen Rechtsextremisten. Ihnen wurde vorgeworfen, nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet zu haben.
Bislang vier Anträge
Das erste Verfahren stieß 1952 der damalige Bundesinnenminister Lehr gegen den Vizechef der neonationalsozialistischen und später verbotenen SRP, Otto Ernst Remer an. Remer hatte unter anderem Mitglieder des Widerstands als "Landesverräter" verunglimpft. Der Prozess dauerte acht Jahre und wurde wegen unzureichender Begründung des Antrags eingestellt.
1969 stellte Bundesinnenminister Benda einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen den rechtsextremen Münchner Verleger Gerhard Frey. Auch dieser Vorstoß wurde in Karlsruhe abgelehnt, mit der Begründung, dass die Gefährlichkeit Freys unzureichend belegt worden sei.
Nach dem tödlichen Brandanschlag von Mölln Ende 1992 wurde ein entsprechender Antrag gegen die Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz gestellt. Auch hier fehlte dem Verfassungsgericht eine ausreichende Begründung. Alles in allem sah es die Betroffenen als politisch zu bedeutungslos an.
Linken-Politiker wirbt für Petition
Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch rief zur Unterzeichnung der Petition gegen Höcke auf, verlangte von den Parteien aber eine politische Auseinandersetzung. "Diese Petition aus der Mitte der Gesellschaft ist begrüßens- und unterstützenswert, und ich wünsche mir, dass viele Bürgerinnen und Bürger diese unterzeichnen", sagte der Bundestagsabgeordnete am Montag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er habe sie aber nicht unterschrieben, denn: "Wir Politiker müssen die politische Auseinandersetzung führen."
Petition läuft seit zwei Monaten
Die Petition ist bereits vor zwei Monaten gestartet worden und hat seitdem regen Zulauf. Nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens radikal rechter Aktivisten und Extremisten mit einigen AfD-Funktionären und auch CDU-Mitgliedern hat der Zuspruch in den vergangenen Tagen stark zugenommen.
Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte der Nachrichtenagentur dpa bestätigt, dass er bei dem Treffen im November über "Remigration" gesprochen hatte. Rechtsextremisten meinen damit in der Regel, dass eine große Zahl Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Laut dem Recherchezentrum Correctiv nannte Sellner drei Gruppen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und "nicht assimilierte Staatsbürger".
Demonstrationen gegen AfD in mehreren Städten
Die Berichte führten auch zu Demonstrationen gegen die AfD: So gingen am Abend etwa mehr als 15.000 Menschen in Essen, Rostock und Leipzig auf die Straße. Viele trugen Transparente mit Aufschriften wie: "Lasst Nazis nicht marschieren und auch nicht mitregieren" oder "Bunt statt kackbraun". Aufgerufen hatte das von linken und bürgerlichen Organisationen getragene Bündnis "Essen stellt sich quer".
Anmerkung der Redaktion: Die Unterschriftensammlung ist keine Petition, die offiziell beim Bundestag eingereicht werden soll. Der Hinweis auf das erforderliche Quorum am Ende des zweiten Absatzes wurde daher gestrichen.
Mit Informationen von dpa und AFP
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