Die Unionsfraktion im Bundestag will, "dass alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland verpflichtend mit ausführlicher Vor- und Nachbereitung mindestens einmal im Laufe ihrer Schulzeit eingebettet in den Unterricht ein ehemaliges Konzentrationslager der NS-Diktatur besucht haben". So steht es in einem Antrag – überschrieben mit dem Titel "Nie wieder ist jetzt – Antisemitismus an Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen mit aller Kraft bekämpfen" –, den CDU/CSU vor kurzem im Bundestag eingebracht haben.
Lehrerverband setzt auf Freiwilligkeit
Für die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Simone Fleischmann, wäre eine solche Verpflichtung ein "letztes Mittel". "Dass das Thema in jede Schulart in die Mitte unseres Bildungs- und Erziehungsauftrags gehört, ist ganz klar", sagt Fleischmann dem BR, gibt aber zu bedenken, "inwieweit ein demokratisches, politisches, freiheitliches Bildungsverständnis sozusagen einen Zwangsbesuch trägt". Lehrkräfte könnten ihre Schülerinnen und Schüler selbst am besten einschätzen und wüssten, wann ein Besuch in einer KZ-Gedenkstätte angemessen sei.
Auf Freiwilligkeit setzt man auch an der KZ-Gedenkstätte Dachau. "Wir glauben auch, dass es einer eigenen Initiative bedarf – von den Schülerinnen und Schülern", sagt Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau. An jenem Ort, an dem die Nazis 1933 ihr erstes Konzentrationslager eröffneten, nahmen im Jahr 2023 rund 53.000 Schülerinnen und Schüler an Rundgängen teil, die die Gedenkstätte anbietet. Im Schnitt seien es 15 Rundgänge pro Tag.
Bayern: Realschüler und Gymnasiasten müssen, Mittelschüler sollen
Anders als in anderen Bundesländern gilt in Bayern für Gymnasiasten und Realschüler der 9. Jahrgangsstufe schon eine Verpflichtung, ein ehemaliges Konzentrationslager zu besuchen. "Außerschulische Lernorte sind in besonderer Weise dazu geeignet, fachliche Inhalte der historisch-politischen Bildung über konkrete Anschauung und die dort erfahrbare Authentizität zu vertiefen", teilt das Kultusministerium auf BR-Anfrage mit. "Ausdrücklich empfohlen", aber nicht verbindlich vorgeschrieben sind KZ-Gedenkstättenbesuche derweil für Mittelschüler. Auf Anfrage des BR, warum für Mittelschulen keine Pflicht zum Besuch von KZ-Gedenkstätten besteht, nur die vage Antwort: "Ziele und Inhalte der Fachlehrpläne werden auf Basis des Profils der jeweiligen Schulart und der zur Verfügung stehenden Lernzeit entwickelt."
"Es ist sinnvoll, in den Lehrplänen aller Schularten – also nicht nur in den Realschulen und Gymnasien, wie das in Bayern ist –, den Besuch einer KZ-Gedenkstätte oder eines nationalsozialistischen Täter- oder Opferortes obligatorisch zu integrieren", sagt Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in der Oberpfalz, dem BR. Zur Arbeit der Gedenkstätte gehöre es auch, den Schülerinnen und Schülern zu einer "demokratischen Bewusstseinsbildung" zu verhelfen.
KZ-Gedenkstätte Flossenbürg: Unions-Vorschlag "im Kern richtig"
Insofern hält Skriebeleit den Vorschlag der Unionsfraktion "im Kern für richtig". Zugleich müsse man sich im Klaren darüber sein, was eine flächendeckende Verpflichtung für die KZ-Gedenkstätten bedeuten würde: mehr Schüler aus verschiedenen Bundesländern und allen Schulformen. Da seien Bund und Länder zugleich gefragt, die finanziellen und personellen Ressourcen bereitzustellen, um den dadurch erhöhten Bedarf an Gedenkstättenpersonal sicherzustellen.
Der bayerischen Schülerschaft käme das entgegen, hört man jedenfalls auf das Urteil des Landesschülerrats Bayern (LSR), der die Interessen aller Schulformen gegenüber der Politik vertritt. "Wir begrüßen den Vorschlag der Unionsfraktion im Bundestag", sagt LSR-Sprecher Zaradacht Gimo, in dessen Mittelschulzeit auch ein Gedenkstättenbesuch stattfand. "Wenn wir Dinge erleben und wahrnehmen und dort sind, dann ist das ein ganz anderes Erlebnis, als wenn wir nur davon hören. Und deshalb sehen wir es schon als wichtige Verpflichtung, dass SchülerInnen Gedenkstätten besuchen."
Gleichwohl ist fraglich, ob der Antrag der Union im Bundestag Anklang findet. Derzeit wird er in den entsprechenden Ausschüssen diskutiert.
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