Knapp 7500 Verse umfasst Friedrich Schillers Monumentaldrama "Wallenstein". Peter Stein brauchte für die ungekürzte Inszenierung der Trilogie einst zehn Stunden. Jan Philipp Gloger schafft es in Nürnberg in einem Drittel der Dauer. Wozu er so beherzt wie geschickt gestrichen und auf den ersten Teil, das Vorspiel in Wallensteins Lager, komplett verzichtet hat.
Stühlerücken statt Sperrfeuer
Kein Wimmelbild mit Kriegsvolk also, Kampfgetümmel gibt es nur als Klangkulisse, und obwohl die Bühne immer wieder in Nebel gehüllt ist, zeigt sie kein dampfendes Schlachtfeld. Stattdessen hat Bühnenbildnerin Franziska Bornkamm im leeren Raum nur eine Vielzahl von Stühlen in Stellung gebracht, die lose verteilt herumstehen oder -liegen. Stühlerücken statt Sperrfeuer.
Tatsächlich geht es im "Walleinstein" ja auch nicht um Gefechte, sondern um Geheimdiplomatie. Dementsprechend inszeniert Gloger Schillers dramatisches Gedicht als packende Hinterzimmerschlachtfeldstudie über Ränke und Intrigen in einer Welt, in der persönliche Bindungen – Freundschaft und Familienbande – unter dem Diktat politischen Kalküls stehen.
Ränke und Intrigen im 30-jährigen Krieg
Wallenstein, erfolgreicher Feldherr im 30-jährigen Krieg, bricht mit dem Habsburger Kaiser, verhandelt mit den feindlichen Schweden. Sein Treuebruch zieht zahlreiche Loyalitätskonflikte in seinem Gefolge als Kollateralschäden nach sich. Ob Wallstein seinen eigenen Vorteil sucht, also mehr Macht, oder nach Frieden strebt, bleibt dabei im Vagen. Ein – das kalauernde Wortspiel sei hier erlaubt – wahrhaft schillernder Held. Kein Zweifel aber besteht daran – so wie Tjark Bernau die Titelfigur in Nürnberg anlegt – dass auch Ehrpusseligkeit und gekränkter Stolz diesen Heerführer antreiben.
Tjark Bernau spielt einen in Stulpenstiefeln stolzierenden Wallenstein, der sein Ego ausgiebig spazieren führt; der sich mit der Hand immer wieder eitel durchs strähnig-schüttere Haar fährt; der das Kinn stolz vor reckt und die Hemdenbrust unter der Purpurjacke mächtig aufplustert. Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob diese Figurenzeichnung knapp vor der Karikatur ist oder aber schon über dieser Grenze. Stimmig ist es allemal, wie bei Bernaus Wallenstein Selbstüberschätzung und Fehleinschätzung der Lage miteinander einhergehen.
Opulente Kostüme, reduzierte Bühne
Die Opulenz der Kostüme von Annelies Vanlaere steht in scharfem Kontrast zur reduzierten Bühne. Im Mantel- und Degenfilm-Look mit Pluderhosen, Rüschenhemden und Spitzbärten sehen Wallensteins Generäle ein wenig aus wie Faschings-Musketiere. Dieses Verkleidungsartige scheint durchaus beabsichtigt. Glogers Inszenierung zeigt Männer, die sich das Militärische wie Rollen übergestülpt haben, die sie denn auch getreulich spielen. Nur, dass sich das kriegerische Schauspiel dann verselbständigt und eine Dynamik entwickelt, die alle überrollt – Wallenstein inbegriffen.
Die Ausweitung der Kampfzone engt zunehmen die Spielräume ein. In Nürnberg wird das bühnen- und sinnbildlich, wenn sich im zweiten Teil der Aufführung langsam, aber unerbittlich, eine Betonplatte auf die Spielfläche niedersenkt und darunter für zunehmend beklemmende Heerführerbunker-Enge sorgt. So findet dieses – bei aller Düsternis mitunter auch verspielte – Theaterspiel zu immer bittererem Ernst. Am Ende ist Wallenstein tot. Jan Philipp Gloger und sein Ensemble aber haben diese Theaterschlacht gewonnen.
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