Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen)
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Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen)

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Roths Konzept zur Erinnerungskultur: "Schrille Töne überwunden"

Um Kolonialismus, Einwanderungs- und Demokratiegeschichte wollte Claudia Roth die Gedenkstättenkonzeption des Bundes erweitern – was auf Kritik der NS- und DDR-Gedenkstätten traf. Nach einem Treffen beider Seiten soll es nun keine Erweiterung geben.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Um aus der Geschichte lernen zu können, muss man an sie erinnern. Aber wie? Und woran genau wollen wir erinnern? Um derlei Fragen zu klären, soll die Gedenkstättenkonzeption des Bundes nach 16 Jahren überarbeitet werden, so steht es im Koalitionsvertrag. Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen wollte in diesem Zug das erinnerungspolitische Engagement des Bundes um neue Themen erweitern, was ihr harsche Kritik von den Gedenkstättenverbänden eingebracht hatte. Gestern hat sich Claudia Roth mit deren Vertretern zu einem runden Tisch getroffen.

In ihrem Entwurf für ein "Rahmenkonzept Erinnerungskultur" hatte Claudia Roth neben dem Nationalsozialismus und der DDR-Geschichte drei weitere Themenkomplexe in den Blick genommen: den deutschen Kolonialismus, die Migrationsgesellschaft inklusive rassistisch motivierter Verbrechen wie den NSU-Morden sowie die deutsche Demokratiegeschichte. Dafür hagelte es Kritik vom Zentralrat der Juden in Deutschland, aber vor allem von Vertretern der NS- und DDR-Gedenkstätten. Der Vorwurf: Durch die Aufnahme weiterer Themenfelder würden die NS-Verbrechen relativiert und das DDR-Unrecht bagatellisiert.

NS- und Kolonialverbrechen "schwerlich zu vergleichen"

Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in der Oberpfalz, sagte dazu im BR: "Gerade das Besondere, die Einzigartigkeit der Verbrechen an Orten wie Dachau, wie Flossenbürg, wie Auschwitz, sind mit den deutschen Kolonialverbrechen, die eine andere Geschichte, eine andere Vor- und Nachgeschichte haben, schwerlich zu vergleichen."

Deutliche Worte von Skriebeleit, der gestern auch zum Runden Tisch bei Claudia Roth eingeladen war. Roth äußerte sich am Freitagmorgen im BR zur Kritik: "Das war ein schwerer Vorwurf, weil es mitnichten, wirklich mitnichten um Relativierung oder Bagatellisierung geht", so Roth. "Man kann so einen Vorwurf nicht einfach stehen lassen, denn meine Behörde, die BKM [Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Anm. der Red.], arbeitet sehr intensiv zu Erinnerungskultur und dieser Vorwurf war sozusagen eine Zuspitzung."

"Eigener Rahmen" für neue Themen

Der Dialog am Runden Tisch habe in einer "konstruktiven Atmosphäre" stattgefunden, so Roth: "Wir haben sehr intensiv über die großen Herausforderungen gesprochen, vor denen die Gedenkstätten stehen, wie dem Wandel der Gesellschaft, dem Anstieg des Rechtsextremismus, den Anforderungen einer digitalen Welt, wie auch dem großen zeitlichen Abstand, wo es einfach nur noch ganz, ganz, ganz wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt."

Es sei nun vorgesehen, die Gedenkstättenkonzeption des Bundes mit den Themen Aufarbeitung der NS-Verbrechen und des SED-Unrechts mit den Vertreterinnen und Vertretern der Gedenkstätten und weiteren geschichtskulturellen Akteurinnen und Akteuren sowie dem Deutschen Bundestag und den Ländern fortzuschreiben.

Die neuen Themenfelder Kolonialismus, Einwanderungsgesellschaft und Rechtsterrorismus sowie Demokratiegeschichte sollten zwar "weiter beraten" werden, allerdings in einem "eigenen Rahmen" und unter Einbindung der Zivilgesellschaft, so Roth. Im Klartext heißt das wohl: Die Einbindung in die Gedenkstättenkonzeption ist vom Tisch. Roth zeigte sich dennoch zufrieden, die "Spannung" und "schrillen Töne" seien dank der Gespräche vorerst überwunden.

"Opfer zweiter Klasse"

Doch nun kritisiert wiederum der Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer, der Roths Konzept vorher verteidigt hatte, die neue Einigung: "Durch die Entscheidung, die Erinnerung und das Gedenken an die deutschen Kolonialverbrechen wieder von den anderen staatlichen Verbrechen abzukoppeln, erklärt die BKM und erklären auch die Gedenkstätten die Opfer kolonialen Genozids und anderer kolonialer Massenverbrechen zu Opfern zweiter Klasse", schreibt Zimmerer. "Den einen wird – wie bisher – eine zentrale Rolle im staatlichen Gedenkkonzept zugedacht, die anderen müssen am erinnerungspolitischen Katzentisch Platz nehmen."

Mit Claudia Roth ginge beim Thema Erinnerungskultur "nun ausgerechnet eine Ministerin der Grünen in die Geschichte ein, als diejenige, die Opfer erster und zweiter Klasse festschreibt – auf Grund ihrer Hautfarbe".

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