"Wer Wind sät, wird Sturm ernten", spottete Politologe Andrej Nikulin im Hinblick auf einen wilden Streit in Rostow am Don, dem Hauptquartier von Putins Angriffsarmee. Dort war am 13. Februar ein Standbild des 2020 verstorbenen russischen Satirikers Michail Schwanetzky enthüllt worden, der einst von Putin als "Volkskünstler" ausgezeichnet wurde. Die Zeremonie sollte eigentlich bereits 2022 stattfinden, war damals jedoch aufgrund des Angriffskrieges verschoben worden - weil man keine Person ehren wollte, die in einem Land geboren worden ist, zu der Russland "eine desaströse Beziehung" habe, wie russische Medien mutmaßten. Schwanetzky stammt aus Odessa.
Jetzt muss das Denkmal Bloggern zufolge "rund um die Uhr" von der Polizei bewacht werden, es zieht die Wut der rechtsradikalen Nationalisten auf sich. "Das Denkmal muss entfernt und eingelagert werden", so der aufgebrachte TV-Propagandist Sergej Markow: "Es ist ein Zeichen des Anstoßes". Die Bronzestatue sei "zur falschen Zeit" eingeweiht worden, weil Schwanetzky sich zu Lebzeiten über "Russophobie" lustig gemacht habe, also über abwertende Äußerungen zur russischen Kultur und Gesellschaft.
Bei der feierlichen Enthüllung, die von einer rechtsextremen Zwischenruferin gestört wurde ("Schämt sich hier niemand?"), hatte der zuständige Gouverneur Wassili Golubew noch behauptet, Rostow atme den "Geist der Freiheit", ähnlich wie Odessa, die ukrainische Geburtsstadt des Humoristen: "Wo findet man eine Stadt, in der ähnlich viele lustige, begabte Menschen zuhause sind?" Im Überschwang der Denkmalseinweihung wurde sogar überlegt, dort regelmäßig komödiantische Lesungen abzuhalten, wie örtliche Medien berichteten. Putin hatte einen Mitarbeiter entsandt, der seiner Freude über das Standbild Ausdruck verlieh. Doch die hielt nicht lange an.
"Naive Dummheit und Verunsicherung"
Auf beliebten sozialen Netzwerken wie Telegram schimpften die Patrioten so lautstark, dass offiziell von einem "Bot-Angriff" die Rede war. Dem Gouverneur wurde vorgeworfen, einen Tag nach der Denkmalsenthüllung nicht an der Gedenkstele erschienen zu sein, die an die Befreiung Rostows im Zweiten Weltkrieg erinnert. Er habe dort keine Blumen niedergelegt und "verspätet" Glückwünsche ausgesprochen: "Warum Wassili Jurjewitsch diesen strahlenden Feiertag und die Tradition verraten hat, ist unbekannt. Die Gründe können unterschiedlich sein: von naiver Dummheit und Verunsicherung über die Ereignisse des Vortags, bis hin zur bewussten Entscheidung, nicht noch einmal unangenehm aufzufallen."
"Nur ein Schritt, und Sie befinden sich im Graben"
Die Nationalisten erregten sich obendrein über ein angebliches Zitat von Michail Schwanetzky in einer Fernsehsendung vom 10. Januar 2012. Er habe gesagt: "Mein Traum ist es, die Gegend, die bisher Russland war, dem Erdboden gleichzumachen und etwas ganz Neues aufzubauen." Tatsächlich hatte der Satiriker darauf hingewiesen, dass Russen gewohnt seien, in "unerträglichen bis sehr schwierigen Verhältnissen" zu überleben und die Krise für sie eigentlich der Normalzustand sei.
Deshalb gewöhnten sich die Russen auch sehr leicht an Kriege, denn zwischen dem Überleben im Schützengraben und im Alltag sei kein großer Unterschied: "Nur ein Schritt, und Sie befinden sich in so einem Graben und leben dort fast so weiter, wie bisher. Vielleicht sogar besser, denn sie ernähren dich, und du bist irgendwie unter Leuten, und du bekommst irgendwann eine Gelegenheit, jemanden auszurauben und spontan mit jemandem zu schlafen." Deshalb wolle kaum ein Soldat ins Zivilleben zurückkehren. In diesem Zusammenhang fügte Schwanetzky an, er träume davon, Russland dem Erdboden gleichzumachen und völlig neu zu errichten, damit es "stark, vielfältig und fröhlich" werde: "Sehen Sie, wenn unsere Regierung das nicht schafft, sollten wir nicht länger zulassen, dass sie es verhindert."
"Das öffnet tödlich falsche Tür"
Zwar versuchte der nationalistische Abgeordnete Anatoli Wasserman die Wogen zu glätten und behauptete, die Russen seien intelligent genug, Schwanetzkys Äußerungen nach "guten und schlechten" einzuordnen, doch das beruhigte die Gemüter keineswegs. Autorin Marina Judenitsch gab sich entrüstet und fragte sich, warum die örtlichen Behörden "so wenig Gespür" für Land und Leute hätten: "Rostow ist eine Frontstadt. In einem örtlichen Hotel hängt ein zu Tränen rührendes Schild, wonach es Rabatte für Kriegsteilnehmer gebe, und daneben steht ein Denkmal für einen Autor, der gesagt hat, er habe die Menschen auf dem Maidan gesehen [dem zentralen Platz in Kiew, der sinnbildlich für die Revolution von 2013/14 steht]. Das öffnet die falsche Tür, eine tödlich falsche Tür."
Judenitsch zitierte damit aus einem Interview von Schwanetzky, in dem er 2006 gegenüber einem ukrainischen Journalisten seine Sympathie für den Maidan-Aufstand geäußert und angefügt hatte: "Was Russland von der Ukraine unterscheidet, ist die verbitterte Bevölkerung." Der gebürtige Ukrainer hatte 2014 auch einen Offenen Brief gegen die Annexion der Krim unterschrieben, was Putin aber nicht davon abhielt, den fernsehbekannten Satiriker auszuzeichnen. Der Humorist sei zwar am Ende der Sowjetunion populär gewesen, weil er eine "Koryphäe" darin gewesen sei, zwischen den Zeilen zu spotten, so Marina Judenitsch, aber darum gehe es aktuell nicht.
"Schlechter Geschmack der Demokratie"
Der rechtsextreme Schriftsteller und Politiker Sachar Prilepin sprach von einer "trostlosen Unangemessenheit" des Denkmals: "Unser Land müht sich gerade, sich selbst zu überwinden und völlig anders zu werden, jeden Tag verbringen wir noch nie dagewesene Heldentaten - und hier passiert so was." Der Verstorbene sei "kein großer Patriot Russlands" gewesen und gehöre auch nicht zu den herausragenden Literaten: "Bisweilen war es interessant, ihm zuzuhören, aber ihn zu lesen war völlig unerträglich." Zwar forderte Prilepin ausdrücklich nicht den Abriss des Denkmals - "jetzt, wo es schon mal da steht" - schimpfte jedoch auf den "schlechten Geschmack, der von der Demokratie genährt" werde. Gleichzeitig nannte er eine Reihe historischer Kriegshelden und Frontsoldaten, denen angeblich keine oder zu wenige Standbilder gewidmet seien: "Was hat der [mit dem Nobelpreis gekürte Roman von Michail Scholochow] 'Stille Don' mit Schwanetzky gemeinsam? Ich kapiere es nicht."
Ultrapatrioten in Rostow am Don sollen unter Anspielung auf Schwanetzkys Geburtsort Odessa bereits von einem "Denkmal für einen ukrainischen Gefangenen" sprechen, behaupteten lokale Zeitungen. Es fehlte nicht an antisemitischen Kommentaren, das Kunstwerk sei in Tel Aviv oder in der Ukraine besser aufgehoben, auch London komme in Frage, weil Schwanetzky dort gegen Ende seiner Karriere "hauptsächlich" aufgetreten sei. In Leserkommentaren war jedoch auch davon die Rede, dass bei den Protesten von rechts wohl nur "banaler Neid" im Spiel sei: "Man kann nur noch entsetzt sein über die Tiefe des Lochs, in das Russland gefallen ist." Ein weiterer Kommentator meinte kurz und prägnant: "Der Taubenschlag brennt!"
Andere zeigten sich "sehr enttäuscht" über ihre Landsleute: "Die Durchgeknallten unserer Stadt sind wieder mal außer Rand und Band. Der Frühling lässt auf sich warten." Schwanetzky habe Respekt verdient, weil es ihm gelungen sei, in Russland ein "selbstständiges Leben" zu führen und bis zum Ende ein Mensch bleiben. Es gab sogar Kommentare, die darauf verwiesen, dass der Satiriker die Annexion der Krim abgelehnt hatte: "Die hat uns bisher mehr Ärger als Segen eingebracht." Jemand brachte in Schwanetzky-Zitat in Erinnerung: "Patriotismus ist eine klare, transparente und gut begründete Erklärung dafür, dass wir schlechter leben sollten als andere." Auch, dass der Humorist "mangelnde Bildung und geistige Unbeweglichkeit" für schlimmer als die Atombombe hielt, machte die Runde. Ein Spaßvogel schrieb: "Die Eröffnung des Terrariums von Gleichgesinnten hat inzwischen stattgefunden. Freier Eintritt."
"Künstlich geschürte Aufregung"
Der eingangs erwähnte Politologe Nikulin führte die "Hysterie" um das Denkmal auf die Propaganda des Kremls zurück, die den Beleidigten unentwegt vorbete, "was sie beleidigt und wie sie sich beleidigt fühlen" sollten: "Selbst die Urheber haben mittlerweile Probleme, mit der künstlich geschürten Aufregung klarzukommen." So sei es auch schon Lenin ergangen und zuletzt dem verstorbenen Söldnerführer Prigoschin, der sich mit seinem täglichen Geschimpfe wirkmächtig auf den sozialen Netzwerken gemeldet hatte: "Es wäre seltsam zu erwarten, dass sie die letzten ihrer Art gewesen sind und ihre Masche nicht wiederholt wird."
Im russischen News-Portal mühte sich Maria Degterewa um eine Ehrenrettung von Schwanetzky: "Er war nicht nur Autor witziger Texte – er war ein Mensch, der das russische Leben und die russische Lebensart auf einer völlig neuen Ebene verstand. Freundlich, aber zielgerichtet, den Alltag aufs Korn nehmend. Einer, der wusste, was ein großer Satiriker tun sollte: ein Laster erkennen, es bloßstellen und die Gelegenheit geben, darüber zu lachen." Ein "großer Patriot" sei der Humorist nicht gewesen, doch über seinen literarischen Rang würden nicht einzelne Kritiker entscheiden. Schwanetzky sei in gewisser Weise längst "unzerstörbar" geworden.
Inzwischen spekulieren Moskauer Medien, wie lange das Denkmal wohl stehen mag, bis es von "Vandalen" beschmutzt oder gar zerstört wird: "Die Polizei hat besseres zu tun, sie kann es nicht über Monate hinweg im Auge behalten."
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