"Klimakrise, Artensterben, ganze ökologische Systeme gehen den Bach runter", zählt Claus von Wagner auf der Bühne des Münchner Lustspielhauses auf. "Österreich macht Kickl wahrscheinlich zum Reichskanzler. Die FDP erstürmt die Normandie und schießt sich dabei selbst in den Fuß. Die CDU hält sich in dieser Verfassung tatsächlich für regierungsfähig. Wer braucht denn da ernsthaft noch eine Kunstform, die sagt: Ich arbeite mit Übertreibung?" Das Publikum lacht.
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In der Tat, die Lage ist zum Verzweifeln. Für Kabarettisten im Besonderen. Und auch für die Welt im Allgemeinen. Aber zum Glück gibt es Claus von Wagner. Und ihn jetzt auch mit einem neuen Solokabarett-Programm. Denn der beherrscht die Kunst, selbst dort noch Pointen auf die Wirklichkeit drauf zu setzen, wo man eigentlich sagen muss, sie spottet jeder Beschreibung.
Lösungsansätze für die Welt
In seinem Programm "Projekt Equilibrium" stellt er auch Überlegungen an – als scharf- und spitzzüngiger Analytiker, der er ist – wie und wo man den Hebel ansetzen müsste, um diese aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot zu bringen.
Zum Beispiel bei der Schuldenbremse, die so etwas wie die Heilige Kuh der deutschen Finanzpolitik ist, die im Grundgesetz verankert ist und die Neuverschuldung für den Bund auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deckelt. "Eine Zahl, womit die Demokratie sich selbst fesselt. Eine Zahl ohne wissenschaftliche Begründung. Das ist unsere vielbeschworene deutsche Finanzkompetenz. Wir begründen etwas, was nicht funktioniert mit etwas, was nicht stimmt."
Keine Priorität für den Gag
Claus von Wagner schlägt sich auf die Seite der Kritiker, die in der Schuldenbremse eine Zukunftsbremse sehen, die dringend erforderliche Investitionen blockiert. Klingt nach klarer Haltung, aber erstmal nicht nach einem geeigneten Thema für einen unterhaltsamen Kabarettabend. Und tatsächlich, im Zweifelsfall räumt von Wagner Gedanken den Vorrang vor Gags ein. Und doch ist Denkarbeit bei ihm keine mühsame Plackerei, wohl aber die Voraussetzung, um Zusammenhänge und die oft aberwitzigen Zustände zu durchschauen.
Politische Vorschläge
Claus von Wagner ist ein Kabarettist, der in manchen Passagen seines Solos satirische Nadelstiche mit der Frequenz einer Singer Nähmaschine setzt. Und doch spult er damit nicht einfach nur eine Unterhaltungsmasche ab. Ihm ist es durchaus ernst mit seinem "Projekt Equilibrium". Seine Vorschläge jedenfalls, wie die Welt zurück ins Gleichgewicht zu bekommen wäre, sind keineswegs ironisch gemeint: runter von der Schuldenbremse, dafür rauf mit der Erbschafts- und Vermögenssteuer:
"In kaum einem Land wird Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als in Deutschland. Die Zahlen sind ja ungefähr so: Arbeitseinkommen, da kommen sie ungefähr auf 30 Prozent Steuern. Bei Erbschaften von großen Vermögen kommen sie auf einen Steuersatz von 3 Prozent. Also, wer sich mit Zahlen schwer tut, das sind in Worten... drei Prozent."
(K)ein Abend reiner Verzweiflung
Claus von Wagners neues Programm ist eine Abrechnung mit kapitalistischer Profitgier, Korinthenkackerei und Kleinmut, die eine gerechtere Finanzpolitik verhindern. Doch selten war eine so verstörende Bestandsaufnahme zugleich so vergnüglich. Und am Ende sogar gar nicht mal ausschließlich zum Verzweifeln.
Ein Ende, an dem sich Claus von Wagner zwar nicht als blauäugiger Optimist gab, wohl aber etwas Zuversicht gestattete, den einstigen tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel zitierend: Hoffnung sei die Fähigkeit sich für etwas einzusetzen, nicht weil es zwingend Aussicht auf Erfolg habe, sondern schlicht, weil es gut sei. So wie Claus von Wagners "Projekt Equilibrium", das mehr ist als ein Kabarettprogramm: Die Suche nämlich nach Balance für eine taumelnde Welt.
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