Leben ihren Traum trotz traumatischer Erlebnisse: Bill und Tom Kaulitz in "Kaulitz & Kaulitz"
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Leben ihren Traum trotz traumatischer Erlebnisse: Bill und Tom Kaulitz in "Kaulitz & Kaulitz"

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Serie "Kaulitz & Kaulitz": Das Luxusleben der Tokio-Hotel-Brüder

Cocktails, schrille Outfits, verschwenderische Villen: Die Serie "Kaulitz & Kaulitz" zeigt, wie luxuriös die Tokio-Hotel-Brüder Bill und Tom Kaulitz in L.A. leben. Doch sie zeigt auch die Narben, die die Anfangsjahre der Band hinterlassen haben.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Man muss ein bisschen Sitzfleisch mitbringen – denn „Kaulitz & Kaulitz“, die neue Netflix-Serie über die Tokio-Hotel-Zwillinge Bill und Tom Kaulitz, wird erst allmählich wirklich interessant und riskiert zu Beginn diejenigen Zuschauer, denen das viele Bling-Bling nicht reicht, zu verlieren. Denn in den ersten beiden Folgen protzt die Serie schon sehr mit dem obszönen Reichtum der, wie sie selbst nur halb-ironisch sagen, vielleicht berühmtesten Zwillinge der Welt.

Teure Outfits, protzige Karren und klirrende Cocktailgläser

Immer wieder bekommen die Zuschauer Drohnenaufnahmen der Wahlheimat L.A. präsentiert, Blicke über die Hügel von Beverly Hills aufs Meer, teure Outfits und protzige Karren, das alles in leuchtenden Farben und begleitet vom Sound klirrender Cocktailgläser und Bill und Toms lautem Gelächter. Dabei verlässt sich die Serie – halb Doku, halb Reality Soap – durchgehend auf das im Fernsehen und auf Youtube gleichsam beliebte Format des steten Kommentierens des gerade Gesehenen.

"Es gibt eigentlich nichts, was ihr nicht zu sehen bekommt", verspricht Bill Kaulitz zu Beginn der Serie, und natürlich ist das gelogen. Denn jeder verhält sich anders, sobald eine Kamera im Raum ist – erst recht Medienprofis wie die Kaulitz-Brüder, die im Rampenlicht stehen, seit sie 15 sind.

Zudem scheint es ein zwar beneidenswert luxuriöses, aber eben auch klischeehaft oberflächliches Leben zu sein, das Tokio-Hotel-Sänger Bill sowie Gitarrist Tom zusammen mit Ehefrau Heidi Kaulitz, geborene Klum, und den vier Kindern in Los Angeles führen. Die anfangs präsentierten Konflikte, die der exzentrische Bill und der eher slackerhafte, an den Dude aus "Big Lebowski" erinnernde Tom austragen, sind eher Konfliktchen und wirken ein wenig, als hätte man sie mit der Lupe gesucht.

Die deutschen Kardashians?

Vom Bandalltag oder der Arbeit an neuen Songs wird in den ersten fünf Folgen nur wenig gezeigt. Stattdessen ist man beim Shopping dabei, blickt in begehbare Kleiderschränke, sieht, wie Personal Assistent Lina einen Party Planner engagiert, die wiederum die Geburtstagsparty organisiert, für die die Kaulitz-Brüder schließlich doch noch ein verspiegeltes Haus in der Wüste bekommen, das eigentlich schon andere gebucht hatten.

Das ist alles ziemlich dekadent. Klimakrise, Rechtsruck oder die gerade in den USA sehr sichtbare Armut scheinen in dieser Welt schlicht nicht stattzufinden. Dazu passen Aussagen wie die von Heidi Kaulitz aka Klum, dass sie "lieber ein größeres Haus" kaufe, "als dass ich was wegschmeißen muss". Es stellt sich die Frage, ob hier die deutschen Kardashians aufgebaut werden sollen.

Streitigkeiten und Freiheit

Doch dann zeigen die Kaulitz-Brüder doch mehr als erwartet: Etwa einen ziemlich heftigen Streit, bei dem man eine Ahnung von den wirklichen Konflikten bekommt, die entstehen können, wenn Berufliches und Persönliches so stark miteinander verquickt sind.

Ebenso authentisch wirkt die Freiheit, die die beiden in Los Angeles ausleben. "Ich glaube, L.A. und der Umzug nach Amerika hat uns gerettet," sagt Bill und man spürt tatsächlich, was für ein Befreiungsschlag der Umzug, oder sollte man sagen: die Flucht in die USA 2010 gerade für ihn gewesen sein muss.

Unbeobachtet kann er in Kalifornien endlich so sein, wie er ist, und auch seine Sexualität frei ausleben. Was natürlich so auch nur möglich ist, weil Geld im Leben der beiden scheinbar endlos verfügbar ist.

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Auf der Couch: Bill und Tom kommentieren das selbst Erlebte, mal zusammen, mal getrennt.

Hass auf Andersartigkeit

Ein zum Skandal aufgeblasenes Techtelmechtel auf – ausgerechnet! – der Wiesn führt schließlich zum emotionalen Kern der Serie: den Erfahrungen der Band in Deutschland zu Beginn ihrer Karriere. Denn Tokio Hotel, angehimmelt von Hunderttausenden Teenie-Mädchen, trafen auf ebenso starke Abneigung.

"Wir hatten die härteste Schule, die man haben kann, was Anfeindungen anging", sagt Tom. Und Bill erzählt, dass dadurch sein Liebesleben bis heute "ein bisschen geschädigt" sei. Mitte der 2000er lastet ein enormer Druck auf der jungen Band – Musikmanager stecken sie in ein enges Korsett, Fans stalken sie, brechen sogar in ihre Villa ein, Gegner beschimpfen sie, Boulevardmedien lassen sie keine Sekunde aus den Augen.

Auch vor dem extrem frühen Ruhm mit 15 Jahren sei seine Kindheit "geprägt von Wegrennen und Angst haben und dem Anderssein" gewesen, erzählt Bill Kaulitz, der schon als Kind in Mädchenklamotten herumlief. Mama Charlotte, die mit auf Tour durch Europa dabei ist, erzählt, sie habe sich oft die Frage anhören müssen, "Wer erzieht seine Kinder so?". Sie habe dann gesagt: "Ich erziehe die nicht so, sie sind so. Und ich lass’ sie sein."

Es ist schön zu sehen, dass die Kaulitz-Brüder diese Welt des Missmuts und Hasses hinter sich gelassen haben – auch wenn es sie natürlich außerhalb von Beverly Hills noch gibt. Dafür verzeiht man ihnen fast die Dekadenz ihres Promilebens. Und der Serie das späte Vordringen zu ihrem Kern.

"Kaulitz & Kaulitz" ist ab 25. Juni bei Netflix zu sehen.

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