Er ist keine 40 Zentimeter groß, aber extrem wertvoll – und nackt: der Jesus am Kreuz, geschaffen von niemandem Geringeren als Michelangelo, noch bis 29. Mai zu sehen in der Sonderausstellung "Verdammte Lust" im Diözesanmuseum Freising.
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Christus als perfekte Aktdarstellung am Kreuz
Für Museumsdirektor Christoph Kürzeder ist es aktuell das Highlight auf dem Freisinger Domberg - kunsthistorisch und sein persönliches zugleich, "weil es eben Christus als perfekte Aktdarstellung zeigt". Das Kreuz wird in Freising ohne Kreuzbalken ausgestellt, so dass man nur den ausgestreckten Körper sieht.
Als "sehr sensibel und fein gearbeitet" beschreibt Kürzeder die Darstellung. "Es ist ein extrem anrührendes Bildwerk, Andachtsbild, natürlich, das in dem Kontext der Ausstellung auch eine sehr große Wirkung entfaltet, nämlich: Was ist Jesus als Mensch? Das ist ja die Grundfrage."
Michelangelo gestaltet sinnlich erotischen Jesus
Die beantwortet freilich auch der Renaissance-Künstler Michelangelo getreu dem christlichen Glauben, wonach Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Mann geworden ist er bei Michelangelo, und zwar auf eine sinnlich, fast schon erotische Weise, sagt Museumsdirektor Christoph Kürzeder.
Der Betrachter sollte aber nicht nur den nackten Jesus anschauen, sondern auch hinter die Dinge blicken: auf das nämlich, was solche Darstellungen eigentlich aussagen wollen. Das könnte auch Polarisierungen vorbeugen.
Immer wieder Blasphemie-Vorwurf
Der Blasphemie-Vorwurf sei diesen Bildwerken über die Jahrhunderte immer wieder gemacht worden, erklärt der Museumsdirektor. "Denn man hat es sehr oft als anstößig empfunden, dass Christus in dieser Nacktheit dargestellt ist. Der Diskurs, der eben dahintersteckt: Es zeigt eben, dass Christus nicht nur angenommen ganz Mensch war, sondern er ist es auch wirklich, also eben auch in seiner Nacktheit, in seiner Sexualität. "
Damit ist auch die Botschaft von Weihnachten gewissermaßen ans Kreuz genagelt, die Menschwerdung Gottes. Und gerade so, sagt der promovierte Theologe, verstärkt die Darstellung des nackten Mannes aus Nazareth auch das Karfreitags-Geschehen: Die Zerbrechlichkeit oder auch das Ausgeliefertsein zeige sich darin noch einmal deutlicher.
Damit steht die Darstellung des makellosen Nackten am Kreuz in Kontrast zum Motiv des leidenden Jesus, bis aufs Blut geschunden von den Strapazen des Kreuzweges. Aber auch das fordert mitunter heraus, zum Beispiel in Tutzing.
Aber auch ein bis aufs Blut geschundener Jesus polarisiert
"Das Kreuz ist mir zu gruselig, wieso sollen wir auf was Nicht-Schönes schauen?", zitiert Pfarrerin Beate Frankenberger einige ihrer Gemeindemitglieder. Nach einer Renovierung in der Tutzinger Christuskirche hängt dort nun gar kein Jesus mehr.
Statt eines nackten oder leidenden Jesus also nur noch ein nacktes Kreuz. Aber auch da wurden schon Stimmen laut, die wiederum das Kreuz zu nackt fanden, sagt Frankenberger: Denn, so die Argumentation, man dürfe am Leiden nicht vorbeischauen. "Es gibt das Leiden in der Welt, und wir haben einen Gott, der sich auf die Seite des Menschen stellt. Das ist deren Haltung."
Die Pfarrerin nimmt das gelassen. Schließlich zeige die Diskussion um Jesus am Kreuz eine bleibende Konstante: Das Kreuz bleibe nach wie vor provokant – genauso wie der, der daran hängt. Und zwar egal, ob das ein nackter oder leidender Gekreuzigter ist, sagt die Pfarrerin.
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